Menschen bewegen sich in Zeitlupe. Ein Zug. Dampf. Eine enorm reduzierte Farbsättigung, die einem Schwarz-Weiß sehr nahe kommt. Beethovens 7. Sinfonie, 2. Satz, Allegretto: Bedrückend, schwer, dann pathetisch, euphorisch. Großartig. Ein von Tarsem Singh meisterlich inszeniertes Stück Projektionskunst. Leider beginnt dann der eigentliche Film. Zweifellos eine Verbeugung vor dem eigenen Medium, seine Historie und Akteure. Stuntmen hier, kurze Stummfilm-Szenen da. Schön in der Zurschaustellung seines eigenen Mediums und dessen Möglichkeiten, Bilder wirken zu lassen und Geschichten zu erzählen. Geschichten und Bilder voller Magie, Poesie, aber auch schauriger Schönheit. The Fall ist solange ganz großes Kino, wie er nicht beides miteinander gleichberechtigt verbindet: leider nur selten.
Der seit einem Unfall - die oben beschriebene Sequenz - ans Bett gefesselte Stuntman Roy (Lee Dace) erzählt der 5-jährigen Alexandria (Catinca Untaru) eine märchenhafte Geschichte um fünf mythische Helden, die sich an einem Despoten rächen wollen. Einer ist in der Visualisierung dieser Erzählung opulenter kostümiert als der andere, alle haben besondere Eigenarten. Tarsem Singh und insbesondere Kameramann Colin Watkinson weiden sich dabei an der farbenprächtigen Ausstattung und den bisher teilweise unentdeckten wie wunderschönen Fleckchen unserer Erde (man bereiste nicht weniger als 18 Länder unserer Erde), die allesamt zum Schauplatz der Odyssee des Quintetts bis hin zu ihrem Ziel werden. Dass diese Geschichte an vielen Stellen von Alexandria unterbrochen wird, wenn sie ihr Details schlicht vergessen scheinen oder sich die Geschichte in eine zu düstere Richtung entwickelt, ist dabei zunächst nicht die Crux des Films, vergegenwärtigt dies nämlich, dass wir uns abwechselnd in ihrer und Roys Geschichte befinden, die beide abhängig sind von deren Emotionen und Gemütszuständen.
Dieses Prinzip der Hypostasierung von psychischen Gedankenlandschaften kennt man schon aus The Cell, Singhs Beitrag zum Thriller-Genre. Und noch eine weitere Parallele fällt auf: Wie in The Cell gelingt es Singh auch in The Fall nicht, sein formalistisches Denken zu überwinden. Dem Film, einer Herzensangelegenheit, die sich über einen Zeitraum von 15 Jahren von der Idee bis zum Kinofilm entwickelte, merkt man seine Ambitionen an, gleichsam mit den Möglichkeiten des Kinos im Hinblick auf den Zuschauer und dessen kognitiver Verarbeitung von Sinneseindrücken zu spielen (insbesondere Alexandrias alptraumhafte Traumsequenz, nachdem sie von der Leiter stürzt ist hier zu nennen) als auch die Ambivalenz einer Erzählung auszuloten, deren beide Ebenen sich zusehends miteinander vermischen. Gekoppelt jedoch passt dies nicht wirklich zusammen, zumal uns Guillermo Del Toro mit Pan's Labyrinth mustergültig bewies, wie Fantasie und Wirklichkeit, Märchen und Wahrheit im Kopf eines Kindes miteinander verschwimmen können. In dieser Hinsicht ist Singhs nach The Cell nur leicht verändert wiedergekäute zweite Bedeutungsebene noch nicht einmal in seiner Annäherung an das Thema als originell zu bezeichnen.
Zudem kommen die Darsteller und ihr Spiel in den Szenen des Märchens, welche als fantastische Spiegelbilder des Mikroskosmos der Personen in und um die Klinik verstanden werden können, nicht gegen die schier übermächtigen Bilder des Films an. Die Szene, als die fünf Helden sich innerhalb einer Panoramaaufnahme einer Wüste den von Sklaven gezogenen Wagen von Schwester Evelyn (Justine Waddell) nähern, ist hierfür symptomatisch. Überlebensgroße, wunderschöne Kulissen - doch darüber hinaus keine Nähe, sondern nur Ungreifbarkeit. Der Film funktioniert solange in der experimentellen Anordnung als Verfilmung von Gemälden, Kulissen oder Postkartenansichten, wie keine Handlung, die ja irgendwie auch noch erzählt werden will, hinzutritt. Sobald dies geschieht, offenbart The Fall seine inhaltlichen Mängel, wenn neben der zumindest formal faszinierenden, aber wenig zielgerichteten Erzählebene des Märchens die optisch wenig auffällige Erzählebene um ein Krankenhaus in den 20er Jahren steht, die jedoch glücklicherweise gegen Ende, als Roys Gemütszustand sich zusehends verdüstert, endlich einmal das Ausdrücken von Emotionen zulässt.
Und dann endet The Fall reflexiv hin auf die Anfänge des eigenen Mediums und seine ästhetischen Möglichkeiten. Welch große Verbeugung, welch konventionelle Mittel. Die Bilder brennen sich - und das war bei einem vormaligen Regisseur von Videoclips nicht anders zu erwarten - tief ins Gedächtnis ein und entfalten eine sogartige Kraft, die jedoch sämtliche narrativen Ambitionen abstreift, die zuvor als Kompromiss für einen Kinofilm hinzugefügt wurden. Nur die Bilder: Das wäre Formgebung in Reinform. Das wäre die Essenz eines neuartigen, gewagten Kunstkinos. Und diese hat Singh mit seinem Film, der wenig wagt, leider nicht herausdestilliert.