Ein umstrittener Senator wird in Los Angeles vor seiner Villa erschossen und ein Aktenkoffer mit mutmaßlich brisanten Dokumenten entwendet. Als Hauptverdächtigen verhaftet die Polizei bald den linksradikalen Mexikaner Valdese, dem auch der Prozess gemacht wird. Der ehrgeizige italoamerikanische Reporter Eddie Mills (Antonio Sabato) glaubt nicht an Valdeses Schuld und wittert ein Komplott. Seine gemeinsamen Nachforschungen mit seinem Kollegen Harmon (Victor Buono) ziehen eine Spur von Leichen nach sich, die belegen, dass der Mörder noch auf freiem Fuß ist und seinen tödlichen Blick auch auf Eddie gerichtet hat…
Die Hochzeit – wirtschaftlicher wie auch, wenn man so will, künstlerischer Natur – der Giallo-Welle zu Beginn der 70iger, als man noch auf Techniscope-Hochglanz und internationalen Touch setzte, war vor allem deshalb eine Hochzeit, weil die zahllosen, folgenden Trittbrettfahrer sich gerade noch die Augen rieben über den kommerziellen Erfolg von Filmen wie LA STRANO VIZIO DELLA SIGNORA WARDH und den ersten beiden Filmen Dario Argentos. Man begann selbstverständlich sehr schnell mit dem Trittbrettfahren. Spätestens seit der großen Sandalenfilm-Welle, die Ende der 50iger losgetreten wurde, war man auf dem Stiefel sehr schnell dabei, wenn man die Möglichkeit sah, eine neue, erfolgreiche Genre-Formel breitzutreten. Der Giallo – oder zumindest das, was man jenseits Italien darunter filmhistorisch heute versteht - ist nie zu einem vergleichbaren kulturellen Phänomen ausgeartet wie der Sandalenfilm oder der Italowestern, hat aber zweifellos seine Spuren hinterlassen und wird auch heute noch dank einer kleinen, aber ausgesprochen treuen Fangemeinde als Kultphänomen am Leben erhalten. Der echte Giallo-Fan arbeitet sich erfahrungsgemäß recht schnell durch das Angebot der renommierten „Klassiker“ des Subgenres und das im Verlauf der letzten 10 Jahre beachtlich angewachsene DVD-Angebot. Ist er damit einmal weitestgehend durch, streckt er seine Fühler nach Obskurerem aus. Und das bedeutet in diesem Fall nicht selten: Nach eben jenen Trittbrettfahrern. [Oder aber auch nach vergessenen Perlen wie beispielsweise dem von mir sehr verehrten LA MORTE RISALE A IERI SERA von Duccio Tessari]
Alberto de Martino, dem Kenner des italienischen Horrorfilms vor allem bekannt durch L’ANTICHRISTO (1974), hat als einer der ersten einen waschechten Schaumschläger der Giallo-Welle inszeniert, der sichtbar im Fahrwasser von Lucio Fulcis zwei Jahre zuvor entstandenem UNA SULL’ALTRA paddelt. Wie dort ist auch die hier eher konventionelle Kriminalhandlung in den USA angesiedelt. Konventionelle Kriminalhandlung?
Grob lassen sich jene Gialli der „goldenen Zeit“ in zwei Kategorien unterteilen: Die pragmatische und die eskapistische. Oder auch: Die geradlinig-klassische und die mysteriös-verschwurbelte, wobei sich letztere in der Regel größerer Beliebtheit erfreut aufgrund ihrer größeren und in der Regel unverwechselbar italienischen Markanz.
De Martinos L’UOMO DAGLI OCCHI DI GHIACCIO ist zwar ein Film der ersten Kategorie, panscht aber in seinen bananigen 08/15-Plot allerlei merkwürdige bis bizarre Details und Milieu-Kolorit, was sein Erscheinungsbild noch unamerikanischer und italienischer macht als es die charakteristische Scope-Ästhetik der frühen Gialli und der unvermeidliche, flotte Easy Listening-Score ohnehin schon tun. Der vermeintlich unschuldig zum Tode verurteilte Delinquent Valdese [und man muss dem Film lassen, dass er bis zum Ende mit dessen Schuld- oder Unschuld hinterm Berg bleibt – im Kontext betrachtet ungewöhnlich], den Giallo-Oberschönling Antonio Sabato vor der Gaskammer retten will, ist nämlich Mexikaner. Und hat offenbar in linken Untergrundorganisationen schon ganz ordentlich mitgemischt, war gar obendrein sogar schon in Kuba bei Fidel höchstpersönlich. Diesen natürlich mit bemerkenswerter Subtilität (…) ins Drehbuch eingeflochtenen „Background“ (und der Film fährt noch so manch anderes auf, aber ich will hier niemandem die Vorfreude nehmen) nutzt der Film schließlich auch erklecklich aus, um Sabato von Zeit zu Zeit willkürlich in unnötige, aber natürlich schön schauwertige Kappeleien mit böse drein guckenden Hombres zu verwickeln. Einen rechtskonservativen Trend schlägt der Film erstaunlicherweise aber dennoch nicht ein, zumindest nicht offensichtlich.
Es ist schon eher auffällig, wie hier in bemerkenswert differenzierten Dialogen (…) die Charaktere ihre moralische Haltung zur Todesstrafe diskutieren und wie der Film sich zumindest den Anschein gibt, das alles ganz doll daneben zu finden. Die bösen Amis. Aber weil der durchschnittliche Europäer – die Italiener neben den Deutschen wohl ganz besonders – die USA immer noch für DAS Wunderland hält, geben Los Angeles und Umgebung eine prächtige Kulisse ab, die, obwohl man offensichtlich „on location“ drehte, trotzdem irgendwie dauernd nach Rom aussieht. Das dürfte aber wahrscheinlich nur fehlgeleiteter Instinkt sein.
Als unschlagbaren, spitzbübisch-nonchalanten – und das meine ich hier auch so! – Sidekick hat man Sabato hier das Super-Schweinsohr Victor Buono als Redaktionskollegen Harmon zur Seite gestellt der sich schon durch seinen unfassbaren Auftritt in Robert Aldrichs WHATEVER HAPPENED TO BABY JANE Unsterblichkeit erspielt hat. Hier erfreuen sich Kamera, Regie und auch Drehbuch sichtlich an der urtümlichen Physik und dem knuffigen Gesicht des Italoamerikaners, was dem Film in Buonos Szenen stets eine sympathische Gemütlichkeit verleiht. Das der Film einem Harmon als Iren verkaufen will, ist natürlich sehr niedlich. Das Love-, oder in diesem Falle, wohl eher Sex-Interest Sabatos darf die Deutsche Barbara Bouchet geben und man fragt sich angesichts dieser Rolle einmal mehr, ob die Dame eine Vorliebe dafür hatte, besonders billige Flittchen zu spielen. Jedenfalls wirkt ihre Anna beinahe wie eine Generalprobe für ihren grenzenlos schäbigen Part in Andrea Bianchis jenseitiger Misogynie-Bombe DIE RACHE DES PATEN. Chauvinismen regnet es hier auch ordentlich, doch das liegt schlicht in der Natur des Giallo.
Alles in allem sieht THE MAN WITH ICY EYES zwar größtenteils aus wie ein Spitzen-Giallo, er ist es aber dann doch nicht so ganz. Es fehlt der Schneid, die Dynamik und die originäre Eleganz, mit der Sergio Martino vergleichbar simple Plots ins Bild umgesetzt hat, das Gespür für Timing und sich in Action entladendem Suspense ist nicht so fein wie in Umberto Lenzis Giallesken Werken und die visuelle Vorstellungskraft, die De Martino mit seinem Kameramann Gabor Pogany – der uns immerhin den traumhaft pittoresk fotografierten A DOPPIA FACCIA von Riccardo Freda geschenkt hat – investiert, ist natürlich meilenweit entfernt von der eines Dario Argento, dessen stilbildender L’UCCELLO DALLE PIUME DI CRISTALLO wohl die ewige Messlatte für jeden später entstandenen Giallo bleiben dürfte. Es haben andere schon schneller und besser gelernt, Argentos expressive Bildsprache zu adaptieren, die den Dialog, der im Giallo sonst oft sehr dominant ist, nicht selten erübrigt. Aber mit dickem Pinsel konfuses Zeug in leckeren Farben auf die breite Leinwand zu pinseln, das scheinen damals alle gekonnt zu haben, auch Alberto de Martino.
Für den fortgeschrittenen Giallo-Süchtling ist THE MAN WITH ICY EYES aber nichtsdestotrotz eine willkommene Überraschung, weil er trotz seiner Tendenz zur Mittelmäßigkeit immer noch die würdevolle und um Qualitätsarbeit bemühte Aura der „Anfänge“, das „gewisse Etwas“ , einen Hauch von „Klasse“ verstrahlt und den Gaumen des Kenners somit durchaus mit genretypischer Kurzweil und allerlei kleinem, sleazigen und dezent bizarrem Schmarren zu erfreuen weiß. Und man muss dem Film schließlich noch zugute halten, mit einer der campigsten Schlusssequenzen seines Metiers aufzuwarten. Ein seltener Fall eines gutmenschlichen Giallo-Endes. Das ist doch auch mal was Schönes.