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1914 avancierte Giovanni Pastrones Epos CABIRIA zu einem der erfolgreichsten Filme aller Zeiten, der nicht nur unterschiedlichste Regisseure wie D.W. Griffith und Fritz Lang nachhaltig beeinflusste, sondern der italienischen Filmgeschichte auch dahingehend seinen Stempel aufdrückte, dass er in sie die Figur des Maciste einführte, eine von dem Dichter Gabriele d’Annunzio erfundene Heldengestalt, ein Hüne mit übermenschlichen Kräften, der in CABIRIA die Rolle des treuen Sklaven der Hauptfigur Fulvius Axilla innehat. Während Maciste zwar auch in CABIRIA schon Gitterstäbe auseinanderbiegen und hübsche Mädchen aus bedrohlichen Situationen erretten durfte, der Film jedoch nicht ausschließlich auf seine Figur zugeschnitten war, erlebte er schon ein Jahr später in dem von Luigi Romano Borgnetto und Vincenzo Denizot inszenierten Film MACISTE die Ehre, vollständig im Mittelpunkt der Handlung zu stehen. Nicht nur engagiert man den Schauspieler Bartolomeo Pagano erneut für die Maciste-Rolle, auch findet sich zu Beginn von MACISTE ein eindeutiger Verweis auf CABIRIA, wenn ein junges Mädchen namens Josephine auf der Flucht vor zwielichtigen Gestalten sich ausgerechnet in einem Lichtspieltheater versteckt, wo besagter Film gezeigt wird, und von der Stärke und Heldenhaftigkeit Macistes derart begeistert ist, dass sie ihm sofort einen Brief schreibt, in dem sie ihn um Hilfe bittet. Interessant ist, dass Maciste im Folgenden stets als Maciste erscheint, und nie als Bartolomeo Pagano. Zwar gibt es auch eine kürzere Szene, die auf einem Filmgelände spielt, wo Maciste Josephines Brief überbracht wird, und er sich sofort dazu entscheidet, dem armen Mädchen beizustehen, jedoch tut der Film stets so, als gäbe es einen tatsächlichen Maciste, der vollständig mit der Figur aus CABIRIA übereinstimme, und sich eben gelegentlich ein Zubrot als Schauspieler verdient, sein restliches Leben allerdings mit ehrenhaften Aufgaben zubringt wie den Bedrängten zu helfen, oder in abenteuerliche Situationen zu geraten und sich aus ihnen zu befreien. Wenig verwundert hat mich da, dass Maciste hier so gut wie keine Charakterisierung erfährt. Mehr als dass er mit sagenhafter Kraft ausgestattet ist und diese dazu verwendet, Gutes zu tun, muss der Zuschauer nicht zu wissen, wodurch Maciste zur perfekten Identifikationsfigur vor allem für das männliche Publikum wird. Maciste hat keine Geschichte, kein Privatleben, keine wirkliche Persönlichkeit, dafür Kontakt zu den bezauberndsten Damen und zu den gefährlichsten Unholden, die er allesamt spielerisch außer Gefecht setzt. 

Kein Wunder, dass auch die Story in MACISTE wohl nicht mal zur Entstehungszeit in Gefahr stand, Innovationspreise zu gewinnen. Mehr als ein konventionelles Standardszenario wird nicht aufgeboten. Die Ingredienzien sind: ein Mädchen, besagte Josephine, die von ihrem bitterbösen Onkel um ihr Erbe gebracht werden soll, unzählige Ganoven aus der Halbwelt Roms, die Maciste davon abhalten wollen, die Pläne ihres Auftraggebers zu durchkreuzen, und immer den Kürzeren ziehen, korrupte Ärzte, vernebelte Spelunken, Geheimgänge, tödliche Fallen, Verfolgungsjagden und ein Ende wie aus dem Bilderbuch. Nicht nur Maciste verschonte man damit, seine Figur auch nur ansatzweise psychologisch zu beleuchten, auch die restlichen Protagonisten funktionieren über ein schlichtes Schwarz-Weiß-Schema. Josephine und ihre Mutter, die später gar von ihrem Onkel entführt wird, sind tugendhafte Geschöpfe, langweilig in ihrer Unschuld, während sämtliche Ganoven sich eben dadurch auszeichnen, dass sie Ganoven sind. MACISTE verzichtet leider auch darauf, den Antagonist, Josephines Onkel, etwas interessanter zu gestalten. Weder seine Motivation, Schlechtes zu tun noch seine Biographie werden näher berührt. Statt sich um seine Charaktere zu kümmern, gefällt sich der Film eher darin, ein mehr oder weniger spannendes und aufregendes Szenario nach dem andern abzuspulen, was auf die Dauer nicht reicht, um zu begeistern. Immer wieder gerät Maciste in schier ausweglose Situationen, aus denen er sich dann im letzten Moment rettet. Auch alberne Prügelszenen im Stil von Bud Spencer und Terence Hill dürfen nicht fehlen. 

Ich persönlich empfinde MACISTE als aus filmhistorischer Sicht zwar interessant, als reiner Film hat er mich kaum unterhalten. Im direkten Vergleich mit CABIRIA wirkt es tatsächlich so, als ob die Regisseure von MACISTE sich bewusst jedweden Innovationen des Vorgängerfilms verschließen wollten. Alles, was CABIRIA heute noch auszeichnet, vor allem seine komplexe Handlung und seine durchdachte Struktur, fand in MACISTE zugunsten eines banalen Minimalismus keine Verwendung. Nichtdestotrotz scheint der Film den Nerv der Zeit stark genug getroffen zu haben, dass Bartolomeo Pagano in Folge bis 1926 in über zwanzig weiteren Maciste-Abenteuern auftrat, und dass die Figur des Macistes an sich im italienischen Sandalenkino der 60er erneut wiederbelebt wurde.

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