Der Naturforscher Charles Darwin erlangte Berühmtheit durch seine Evolutionstheorie, die dem stärksten Lebewesen die besten Überlebenschancen zusprach; mit “stark” ist dabei aber nicht unbedingt die körperliche Stärke gemeint, auch nicht zwangsläufig die geistige Überlegenheit, sondern einfach nur die bestmögliche Anpassung an die Umwelt. Herbert Spencer prägte daraus den Leitsatz “Survival of the Fittest” - wer sich am wenigsten anpassen kann, fliegt raus.
Weniger bekannt, aber nur logisch ist es, dass Darwin auch privat ein sehr analytischer Mensch war. Vor seiner Heirat legte er eine Liste mit je einer Spalte “Marry” und “Not Marry” an und wägte ab, ob es sich lohnen würde, zu heiraten. Das tat es, so fand er heraus, aber die Abwägung muss Zeit gekostet haben. Zeit, in der impulsiver agierende, weniger intellektuelle Menschen gepimpert haben wie die Ratten. Und Nachwuchs zeugten, der seinerseits pimperte wie die Ratten, während Darwins Kinder noch nicht einmal die sexuelle Reife erlangt hatten, geschweige denn daran dachten, eine Familie zu gründen. Vielleicht mussten auch sie ein paar Jahre später erst mal abwägen, ob sich das überhaupt lohnen würde... und währenddessen wurde woanders weitergepimpert. Wie die Ratten.
Wechseln wir vom 19. ins 20. Jahrhundert: Da erblickt am 17. Oktober 1962 ein gewisser Mike Judge das Licht der Welt, der von einem amerikanischen Anthropologen gezeugt wurde. In den 90er Jahren war der kleine Mike zu einem ausgewachsenen Mann geworden und hatte sich Gedanken über die ihm nachfolgende Generation gemacht, eine von Depressionen und Musikvideos gelenkte suburbane Jugendkultur, die sich durch einen ausgeprägten Nihilismus definierte, der über impulsiv gelenktes Vokabel-Erbrochenes wie “Yeah”, “Cool”, “This rocks” oder einfach “Hö. Höhö!” kommunizierte und in seiner Freizeit vor Convenience Stores abhing, Fensterscheiben einwarf oder mit Hundekot gefüllte Papiertüten anzündete. “Beavis und Butt-Head” waren seine ersten beiden Kinder, denen zum Glück im wahren Leben noch zwei Töchter folgten. Zu diesem Zeitpunkt war dies aber sein Erbe an die Menschheit, ein Abbild der Generation X, die mit MTV aufwuchs und die Musikvideokultur ganz nach oben brachte.
Als das 21. Jahrhundert anbrach, erkannte Mike Judge, dass mit der Grunge-Bewegung der frühen Neunziger noch längst nicht der Höhepunkt der Mir-egal-Mentalität erreicht war. Die Geistesabwesenheit übertrug sich auf die neue Jugendgeneration, diejenige der Handys und iPods. Vor den Augen des “Beavis & Butt-Head”-Schöpfers verwandelte sich die Teilnahmslosigkeit der Neunziger in einen zombie-ähnlichen Konsumaktionismus. Die Medien reagierten schnell und lieferten, wonach der junge Pöbel verlangte: Klingeltöne, MP3s, Handybilder.
Zeit also für eine neue Dystopie! Mit der Komödie “Idiocracy” zeigt Mike Judge in der ihm eigenen Sprache, wohin uns der Weg frei nach Darwin führen wird, wenn wir uns der Volksverdummung auch weiterhin so fügen wie bisher. Der Durchschnittsmensch von 2006, der sich über “White Chicks” und “Big Mamas Haus 2" prächtig amüsieren kann und in “Die Passion Christi” in erster Linie einen prächtigen Splatterfilm sieht, darf sich im ersten Moment überlegen fühlen, wenn er erkennt, wie intelligent er gegenüber dem ist, was in 500 Jahren die Erde bevölkern wird. Ein Film, in dem 90 Minuten lang ein furzender Arsch gezeigt wird, hat dort nämlich gerade drei Oscars gewonnen, bei Starbucks wird man neuerdings sexuell bedient (“Tall Latte”) und der Präsident ist ein Jackass, gegen den Johnny Knoxville wie ein Gelehrter erscheint. Ein George W. Bush zumindest wie ein schlaues Kerlchen.
Was für ein Geniestreich, nun ausgerechnet Luke Wilson als intellektuellen Apostel in die Zukunft zu schicken! Wilson, in aller Regel als treudoofer Traumkerl in Romanzen eingesetzt und immer den gleichen Typus bedienend, findet zum wohl ersten Mal in seiner Karriere so etwas wie eine vorläufige “Lebensrolle”. Das Grandiose daran: Wenn man Wilsons Schauspiel schon nicht biegen kann, biegt man eben sein Umfeld. Der Mann spielt immer noch die gleiche Figur wie immer, einen Durchschnittslangweiler eben. Aber daraus, dass er nun in einer Gesellschaft agiert, der er intellektuell meilenweit überlegen ist, bezieht die Rolle ihren Reiz. Wilsons Besetzung ist somit ein ähnlicher Clou wie derjenige von Adam Sandler in Paul W. Andersons “Punch Drunk Love”.
In Sachen Aufbau und Story-Antrieb bleibt “Idiocracy” trotz der gelungenen Konstellation und der hervorragenden ersten Minuten, die in ihrer explanierenden Art an den Beginn von Spike Jonzes “Adaption.” erinnern, leider noch einen Beweis seiner Klasse schuldig. Die Erklärung für die Reise in die Zukunft ist billigst zusammengeschusterter Science Fiction-Müll, der zudem in der Anlage auch noch stark an “Futurama” angelehnt ist. Ein von der Army entwickelter Gefrierschrank, der durch Zufall auf einem Müllberg in Vergessenheit gerät und 500 Jahre später durch eine Rutschpartie geöffnet wird, zeugt davon, dass es den Machern relativ egal war, wie man den Helden in die Zukunft befördern würde, Hauptsache, es würde irgendwie geschehen. Dass die fortlaufende Handlung sich dann durch die simple Motivation bestimmt, dass die beiden eingefrorenen Testpersonen (neben Wilson als fauler Bibliothekar des Militärs noch die im Filmverlauf zunehmend sympathischer werdende Maya Rudolph als Prostituierte Rita) nur auf der Suche nach einer ominösen Zeitmaschine sind, um wieder in die Vergangenheit zurückzukehren, zeugt auch nicht gerade von Originalität. Der eher in episodisch ablaufenden Storylines geübte Mike Judge hat offensichtlich größere Probleme damit, die 80-minütige Handlung im Groben interessant und unvorhersehbar zu halten.
Die Stärken der Gesellschaftssatire zeigen sich erwartungsgemäß dann auch eher in den Details. Insbesondere die Darstellung der bescheuerten Bevölkerung aus der Zukunft ist so verblüffend gelungen, dass man manchmal kurz irritiert ist und überlegen muss, ob das überhaupt Menschen sind und nicht irgendwelche menschlich aussehenden dummen Aliens - bis immer mal wieder die übrig gebliebene Menschlichkeit kurz aufblitzt. Dank Luke Wilsons durch und durch “normaler” Darstellung ist das Identifikationspotenzial mit dem hier intelligentesten Menschen der Erde sehr hoch.
Man verzweifelt beispielsweise an der Unfähigkeit dieser Menschen, logische Argumente nachzuvollziehen zu können und wenn Wilson irgendwann vom Gefängnisinsassen zum Berater des Präsidenten aufsteigt, resigniert man ob der Vergeblichkeit, diesem Präsidenten oder seinen Untergebenen zu erläutern, warum Wasser die Pflanzen wieder zum Wachsen bringen könnte und warum das Gatorade-ähnliche Getränk, das herkömmliches Wasser irgendwann vollständig abgelöst hat, trotz seiner gehaltreichen Enzyme nicht dafür geeignet ist. Die Beobachtungsgabe für die gegenwärtige Gesellschaft spiegelt sich wieder in den einfach gehaltenen, aber treffenden Dialogen zwischen dem - aus unserer Sicht - Durchschnittsintelligenten und den Dummen wieder. Verhaltenstechnisch geben dümmliche Handlungsellipsen (Beispiel: Polizisten schießen minutenlang auf das Auto eines Verdächtigen, der selbiges längst verlassen hat, und anschließend schießen sie noch in die Luft) Zeugnis ab von der reinen Mechanik, die im Hirn unserer mutmaßlichen Nachfahren aus dem Jahr 2506 rattert. Optische Gags wie der Schriftzug eines Krankenhauses auf einem Hochhaus, dem am Ende der Platz ausgeht und der sich deswegen nach unten biegend zu Ende schreibt, untermauern die Aussage übertreibend.
Dahingehend ist es eher zweitrangig, dass das Produktionsdesign nur bedingt überzeugen kann und mit seiner Künstlichkeit ein ums andere Mal auffällt. Überhaupt ist Judges neues Werk keinesfalls als ausgefeilter Zukunftsausblick zu verstehen; Grobmotorik beherrscht den Verve. Mit einem gewissen Verständnis für guten Trash lässt sich “Idiocracy” letztendlich am besten konsumieren. Die transportierte Aussage mag am Ende ein wenig zu deutlich ausfallen, spricht aber zumindest mir persönlich aus tiefstem Herzen und da verzeiht man auch gerne mal die ein oder andere Unzulänglichkeit in der handwerklichen Ausarbeitung. Worauf es ankommt, ist aber vortrefflich gelungen und insofern wird Mike Judge seiner anarchischen Ausnahmestellung in der amerikanischen Popkultur mal wieder vollkommen gerecht.
7.5/10