“Jules, wenn du diesem Penner 1500 Dollar gibst, muss ich ihn aus Prinzip erschießen”, sagt Vincent Vega zu Jules Winnfield, als der gerade im Begriff ist, einem Räuber den Inhalt seiner Brieftasche zu überlassen.
Aus genau dem gleichen Grund hat ein Filmemacher wie Jim Jarmusch in Zeiten wie diesen von vornherein Kredit bei mir: aus Prinzip. Ja, ich bin ein kleiner Fanboy von Regisseuren, die über die Stiereier verfügen, schrecklich langsame, ruhige, nachdenkliche Filme zu drehen, ohne in einem Brechreiz erregenden Tempo eine Einstellung nach der anderen abzuwürgen. Die undankbare Meute mag angeekelt aus dem Kino rennen und sich gewünscht haben, das Eintrittsgeld doch lieber in den neuen Tony Scott investiert zu haben - ich bleibe dann im Kino sitzen und genieße lange Einstellungen wie ein Kind seine permanent in den Schlaf wiegende Gutenachtgeschichte - ohne Störfaktoren wie ein klingelndes Telefon. Und irgendwie scheint das ja auch alles zusammenzuhängen: die Informationsgesellschaft bietet ein Leben in kleinen, schnell und heiß servierten Häppchen, und dieses Leben muss entsprechend im Kino reproduziert werden. Durch Schnittorgien, schneller als Speed Metal.
Nicht so mit Jim Jarmusch; der bietet kleine, feine Filme der ganz ungewöhnlichen Sorte, die zudem ganz schwer zu kategorisieren sind. Sie alle konnten mich bislang überzeugen; “Dead Man” durch seine Bildsymbolik, “Coffee & Cigarettes” durch seine entlarvenden Dialoge, “Down by Law” durch die soziale Komponente zwischen den drei Sträflingen, “Night on Earth” durch seine globale Botschaft, “Ghost Dog” durch seine überwältigende Poesie. Ohne diese einmaligen Werke auf die entsprechenden Dimensionen beschränken zu wollen.
Nun also “Broken Flowers”, Jarmuschs jüngstes Werk. Featuring Bill Murray, dessen wahre Qualitäten Sofia Coppola mit “Lost in Translation” herausgekitzelt hat. Dafür muss man ihr ewig dankbar sein, denn Murray ist inzwischen ein wundervolles Gegenstück zu seinem jüngeren Alter Ego, das noch gar nicht so lange her ist... noch in “Osmosis Jones” (2001) mampfte er faule Eier, die aus dem Mund eines Affen fielen. Und jetzt ist er der Gott der dezenten Komik und Lakonie.
Bill Murray nach “Lost in Translation” mit einer ähnlichen Rolle nun in einem Jarmusch-Projekt, das konnte eigentlich nicht weniger als brillant werden. Die Überraschung ist nun groß, dass “Broken Flowers” die erste Arbeit des querköpfigen Regisseurs ist, die mich nicht ganz packen konnte. Ja, es ist ein waschechter Jarmusch - irgendwie. Doch mir fehlt die Inspiration, der letzte übergehende Funke, so sehr sich wieder um Innovation bemüht wird. So sehr auch wieder die Ansätze von mir honoriert werden, zweifellos.
Mindestens eine Halbzeit lang dümpelt das Geschehen ohne nennenswerte Entwicklung dahin. Die langen Einstellungen des katatonisch auf der Couch lungernden Murray entbehren oft einer Pointe. Irgendwann ist der Punkt erreicht, da wirkt die Art der Aufnahme dokumentarisch. Die Kamera ist nicht mehr länger unsichtbar, der Zuschauer nimmt die Wechsel von der Totalen zum Close Up, dann zurück zur Halbnahen bewusst wahr. Das ist dann mitunter ein Schritt zu weit, denn soweit sollte es nicht kommen, dass man während des Sehvergnügens Einblick in die Arbeit des Cutters bekommt.
Dann bewegt sich Murray - so hervorragend bis dahin schon seine rein schauspielerische Leistung gewesen sein mag - endlich einmal aus seinem sterilen Haus und besucht einen Freund - mit dem Jarmusch leider nur wenig anzufangen weiß. Jeffrey Wright spielt den Buddy, der den nötigen Enthusiasmus ins Spiel bringt, der dem teilnahmslosen Protagonisten fehlt. Die ultimative Ergänzung, die unsichtbare gute Fee, zufällig mit den richtigen Interessen für die Sache, die den Plot erst ins Rollen bringt. Schade, denn auch Wright ist ein ausgezeichneter Charakterdarsteller, der es endlich geschafft hat, sich aus Klischeerollen wie derjenigen in “Shaft” zu pellen.
Zugute halten möchte man, dass diese Rolle das einzige uninspirierte Element in “Broken Flowers” ist; alles weitere ist zumindest individuell und in der Form bis dato noch ungesehen. In dieser Hinsicht findet man ein zweischneidiges Schwert vor. Einmal mehr kann niemand behaupten, Jarmusch habe das alte Thema Midlife-Crisis nur unzureichend variiert. Wo “normale” Filme keinen anderen Weg sehen als eine Charakterstudie, findet Jarmusch irgendwo im Gras versteckt einen alternativen Tunnel, der ihn um die Beschreibung des Protagonisten herumführt. Murray muss sich nicht öffnen, weder zu Anfang noch am Ende. Die wichtigsten Annahmen werden durch visuell erfassbare Fakten transportiert. Um zu erkennen, dass Murrays “Don Johnston” ein gealterter Casanova ist, ist es nicht nötig, seinen Schädel zu knacken. Nein, die ganze Reise des Mannes ist seine Analyse.
Nur, das Problem ist: der Plot von “Broken Flowers” ist schrecklich blass. Die Botschaften, wie bei Jarmusch üblich per Symbolik transportiert, werden so leise gewispert, dass die Dialogschreiber sich schließlich sogar genötigt sehen, die Symbolik der rosafarbenen Blumen und anderen Gegenstände nochmals in einem abschließenden Gespräch zu reflektieren, damit man sie nicht verpasst. Das Motiv des Don Johnston, seine Ex-Freundinnen zu besuchen, ist zwar prizipiell offensichtlich, aber dennoch so vage und schal wie ein Nebelmorgen. Signalmomente wie die nackte Lolita, der plötzliche Faustschlag oder die Traumsequenzen kommen kaum darüber hinaus, mehr als effekthascherisch zu sein, sind zwischenzeitlich bemüht skurril. Und dass letztendlich nicht einmal so richtig eine Stimmung herauszufiltern ist, weder eine tragische noch eine komödiantische, macht es schwierig, sich mit der Idee anzufreunden.
Das kann man sicherlich auch alles positiv auslegen - unkonventionell, intelligent, mutig, alternativ ist es ja. Und das Ende, ich will nicht leugnen, dass in dieser letzten Szene mit Don auf der Straße etwas enthalten ist, das nachdenklich macht. Das alles Bisherige zur Farce macht, die Dimensionen von Bedeutung wieder komplett in ein neues Licht rückt. Doch war mir “Broken Flowers” über die gesamte Länge nicht tief genug. Zu grau, zu weich, zu verschleiert. Vom Prinzip der langen Einstellung lebt aber auch dieses Werk noch, und ein Wachsen zu wahrer Größe mit der Zeit ist keineswegs ausgeschlossen in einer Welt, wo die meisten Werke mit der Zeit eher schrumpfen.
6.5/10