IL SESSO DELLA STREGA ist ein Giallo für Giallo-Fans. Wer nicht eine ausgesprochene Affinität zum Metier hat, würde sich vermutlich ausgiebig über den völlig nichtssagenden Plot aufregen. Liebhaber werden sich aber zur Genüge an der bizarren Atmosphäre, den attraktiven Bildern, den sleazigen Sexszenen und dem klassischen Setting erfreuen, das Regisseur Angelo Pannacciò, der hiermit seinen einzigen Beitrag zum Subgenre produzierte, zum Anlass für eine sehr unterhaltsame und angenehm stilsicher inszenierte Ansammlung typischer Giallo-Momente und Set pieces nimmt.
Schon der stimmungsvolle Auftakt schlägt den richtigen Ton an: Der reiche alte Zyniker Thomas Hilton reflektiert in den Minuten seines Todes aus dem Off abfällig über seine gierigen, moralisch verkommenen Kinder, die sich um sein Sterbebett versammelt haben. Nicht sie seien die Lebenden sondern er, weil er sich stets den seiner Sippe eigenen, wahrheitslieben Nihilismus bewahrt habe, während seinen Nachkommen jede Würde abhanden gekommen sei. Und er ist sich sicher, dass sehr bald nach seinem Tod die Familie der Hiltons untergehen wird.
Anzetteln soll diesen Untergang seine verhasste, mit Leidenschaft Kräutertränke brühende Schwester Evelyn, die ein okkultes Geheimnis hütet, welches die Sippe seit Generationen wahrt.
Von den sich um das Erbe reißenden Geschwistern und dieser drachenartigen Tante – der Hexe – ausgehend entwickelt sich der Film mit sichtlicher Begeisterung für die inszenatorischen Möglichkeiten seiner Schauplätze sowie viel Liebe und Gespür fürs effektvolle Moment, zu einem einen Muster-Giallo, mit allem was dazu gehört (außer schwarzen Handschuhen!)
Besondere Höhepunkte des appetitlichen Gesamtpakets sind der äußerst bizarre Okkultismus-Einschlag - mit dem hier nicht nur gespielt sondern konsequent bis zum Ende gegangen wird - sowie einige psychedelische (in einer farblich verfremdeten und durch anamorphotische Linsen verzerrt gefilmten Orgien-Szene) und selbstredend sleazige Einlagen. Pannacciò verschwendete sein Talent dann auch ab den frühen 80igern an Hardcore-Filme. Ein Jammer.
Im Endeffekt erinnert IL SESSO DELLA STREGA in vieler Hinsicht an die populären, geradlinigen Gialli von Sergio Martino, nur das ihm in seinem klobigen dramaturgischen Gefüge der Feinschliff fehlt, der in Martinos Filmen und Ernesto Gastaldis Drehbüchern in der Regel deren extreme dramaturgische „Schlichtheit“ kompensieren, bzw. vielmehr kaschieren konnte. Man konnte beispielsweise TUTTI I COLORI DEL BUIO seine großzügigen Anleihen bei ROSEMARY'S BABY deshalb so bequem verzeihen, weil der makellos non-lineare, organische Fluss des Films und seine surrealistisch getönte Inszenierung ihm letztlich doch einen berauschend-suggestiven Effekt und damit eine beachtliche Souveränität gegenüber dem offenkundigen Vorbild erkämpften. Der dramatisch-erzählerische Fluss in IL SESSO DELLA STREGA ist nicht sonderlich organisch sondern ausgesprochen holprig, Ellipsen spart man gleich völlig aus.
Aber den Giallo-Aficionado wird das nicht weiter stören, gehören dergestaltete Ecken und Kanten in Filmen wie diesem doch schon zum festen Inventar und man gewinnt sie mit der Zeit geradezu lieb, die Kleinen. Hier kommt es auf ganz andere Aspekte an.
Die stimmungsvoll-elegante Scope-Fotografie von Girolamo La Rosa, das pittoreske, verwinkelte und – nicht architektonisch, aber durch sein Ambiente - sehr gothisch anmutende Berggut, in dem und um das sich der Großteil des Films abspielt, der unheimlich-schaurige Score von Daniele Patucci (dessen sich ständig wiederholendes, aber immer effizientes Leitmotiv frappierend an Ennio Morricones Musik zu Argentos LA SINDROME DI STENDHAL erinnert), die schillernden 70iger-Outfits der durch die Bank gut- bzw. „passend“ aussehenden Darsteller, der okkulte Budenzauber und die gekonnt kombinierten Stereotypen verdichten sich zu einer kurzweilig-soghaften, beinahe schon wieder originell wirkenden Italo-Melange mit eigentümlich entrückter Stimmung, die nur der Connoisseur in vollen Zügen genießen können wird. Immerhin sind mit Camille Keaton (COSA AVETE FATTO A SOLANGE) auch eine geheime Giallo-Queen und mit Donald O'Brien ein damals noch zukünftiger (denn unheilige Granaten wie ZOMBIES UNTER KANNIBALEN oder FRANKENSTEIN 2000 kamen später) Trash-Gott der Italoploitation mit an Bord und der doppelte Schlusstwist ist so aufgesetzt und grotesk, dass man nicht umhin kommt, Pannacciò einen gewissen Schneid zuzusprechen – und sich zu wünschen, er hätte noch ein paar mehr Gialli gedreht. Um dem Kenner eine Vorstellung davon zu geben, wie empfehlenswert IL SESSO DELLA STREGA (toller Titel und theoretisch ein monumentaler Spoiler, aber egal) ist: Mir hat der Film bedeutend mehr Vergnügen bereitet als beispielsweise die beiden von Ernesto Gastaldi geschriebenen LA CODA DELLO SCORPIONE und SATAN MIT DEM SKALPELL, die ja beide gemeinhin als Genrevertreter der oberen Klasse gelten.
Etwas trashig erscheinen neben den konsequent abgehackten Szenen-Übergängen (vielleicht war hier nur ein paranoider Verleiher oder Produzent am Werk, der diese überflüssigen kleinen Fitzelchen allesamt loswerden wollte) nur noch die Versuche des Films, sein Setting, dass – vor allem da so besonders provinziell - von oben bis unten solamente italiano ist, als britisch zu verkaufen. Worcestershire (erstaunlicherweise korrekt ausgesprochen in der italienischen Fassung), wie zu Beginn behauptet? Auf keinen Fall – Norditalien mit seinen Weinbergen, wie es leibt und lebt - und wie man es liebt! Aber auch das trifft man in diesen Filmen regelmäßig an - zu einem anständigen „murder mystery“ gehört eben nun einmal der zumindest suggerierte britische Touch, davon wissen nicht nur die Italiener sondern auch die Deutschen mit ihren Edgar Wallace-Filmen ein langes, ohrwurmiges Lied zu singen. Immerhin hat man es geschafft, den unvermeidlichen, mysteriösen (und hier, weil wir in Italien sind, auch noch triebhaften) Butler mit einer absolut schmierigen Charaktervisage zu besetzen, Franco Garofalo *, der ein wenig aussieht wie ein italienischer Bastard aus Anthony Hopkins und Klaus Kinski und über weite Strecken dafür sorgt, dass der Sleaze-Faktor in respektabler Höhen verweilt. Besagter Butler übrigens entpuppt sich völlig unvermittelt etwa nach der Hälfte des Films nicht nur als dauergeiler Geliebter einer der Erbinnen sondern auch als Liebhaber voyeuristischer Vergnügungen, der laut aus erotischen Romanen vorliest, während sich seine Liebste mit einer anderen Blondine dazu vergnügt. Kleine, schmuddelige Überraschungen wie diese lassen einem den Film endgültig ans Herz wachsen!
Bleibt zu hoffen, dass diese kleine Perle eines Tages durch eine DVD-Veröffentlichung aus ihrer Auster befreit wird – inzwischen lassen sich schon soviele vernachlässigenswerte, biedere Gialli der hinteren Reihen käuflich erwerben, dass es eigentlich an der Zeit wäre.
* Bei diesem Herren handelt es sich übrigens, wie ich nachträglich feststellte, um den Darsteller des hysterisch herumkreischenden und spastisch gestikulierenden Super-Zombiejägers aus Bruno Matteis HÖLLE DER LEBENDEN TOTEN. Il minuscolo mondo...