TALKING PICTURES
"Then don´t let anything stand in your way –
not even your parents, not me, not anything!“
(Mary Dale)
Im Dezember letzten Jahres (2007) erschien - vermutlich völlig unbemerkt von der breiten Masse - ein Film auf DVD, der nur einem ebenso kleinem Kreis von Filmfreunden ein Begriff sein wird. Nichtsdestotrotz handelt es sich bei „Der Jazzsänger" um einen echten Meilenstein der Filmgeschichte. Bei der kürzlich erschienenen DVD handelt es sich um eine Jubiläumsedition zum 80. Jahrestag des Films, denn der Streifen unter der Regie des unbekannten Alan Crosland feierte bereits am 6. Oktober 1927 vor ausverkauftem Haus in New York City seine Premiere. „Der Jazzsänger", basierend auf dem Stück von Samson Raphaelson nach einem Drehbuch von Al Cohn ist in erster Linie nicht wegen seiner Handlung in die Geschichtsbücher der Filmhistorie eingegangen, sondern zum einen, weil durch ihn die „black - face performance" (dazu später mehr) einen neuen Aufschwung erhielt und zum anderen - und vor allem deswegen -, weil der Film als erster Tonfilm überhaupt gilt und den vom Pianisten begleiteten Stummfilm ablöste.
Al Jolson spielt in „Der Jazzsänger" die Hauptrolle. Nicht nur seine Figur im Film Jakie Rabinowitz ist Jude, sondern auch der am 26. Mai 1886 in Litauen geboren Asa Yoelson selbst. Dieses Geburtsdatum ist jedoch nicht offiziell notariell bestätigt, denn zu dieser Zeit wurden in Litauen für Juden keine Geburtsurkunden ausgestellt. Er siedelte vermutlich im Jahre 1894 mit seiner Familie in die USA um. Heute gilt Al Jolson als amerikanischer Sänger und Entertainer. Zwischen 1911 und 1940 Er feierte große Erfolge am Broadway (z.B. „Robinson Cruseo, Jr"; 1916, „Sindbad"; 1918) und spielte auch in etwa fünfzehn Filmen mit. In den 1930er und 1940er Jahren prägte er, getragen unter anderem auch vom durchschlagenden Erfolg des „Jazzsängers" auch die amerikanische Radiolandschaft. Er starb am 23. Oktober 1950 in San Francisco (USA).
Die Geschichte von Jakie Rabinowitz weist etliche autobiographische Züge von Al Jolson selbst auf. Al Jolson - selbst Jude - spielt einen jüdischen Sänger, der aus ärmlichen familiären Verhältnissen stammt. Seit vier Generationen sind die Rabinowitz Kantoren ihrer jüdischen Gemeinde, weshalb es für Jakies Vater (eindrucksvoll dargestellt von Warner Oland), seines Zeichens ebenfalls Kantor in New York, - und seiner Frau Sara (gemimt von Eugene Besserer) umso selbstverständlicher ist, dass ihr Sohn die familiäre Tradition weiterführt. Es kommt jedoch anders und umso härter für die Familie, als Vater Rabinowitz von den Machenschaften des 13-jährigen Jakie (gespielt von Bobby Gordon) erfährt: „In a saloon, who do you think I saw singing raggy songs?" Bei diesem jemand handelt es sich natürlich um Jakie, der in einer New Yorker Bar vor Publikum Jazz - Songs singt.
Nach der Androhung folgt die Umsetzung. Der Junge verlässt sein Elternhaus und läuft weg. Nun folgt ein Sprung im Film. Jahre sind vergangen und die Handlung spielt nun San Francisco. Jakie (Al Jolson) ist ein gefeierter Star in der Nachtclubszene der Stadt. Der einzige Kontakt zum Elternhaus ist ein unregelmäßiger Briefwechsel mit der Mutter. Natürlich darf selbst in so einem alten Film eine weibliche Hauptrolle um der Liebe Willen nicht fehlen. Im Nachtclub lernt Jakie die Tänzerin Mary Dale (gespielt von May McAvoy) kennen und lieben. Doch die gemeinsame Zeit der beiden ist nur von begrenzter Dauer, als Mary Dale ein Gastspiel in New York annimmt.
Während Jakie in San Francisco zum umjubelten Star wird, sorgt Mary Dale dafür, dass auch die Menschen in New York auf ihn aufmerksam werden. Dort erhält er schon bald eine Rolle in einer Broadway - Show. Er trifft dort nicht nur seine geliebte Mary wieder, sondern auch seine Familie. Anders als erwartet ist jedoch das Verhältnis zum Vater noch immer sehr angespannt, ja nahezu eisig - „I came home with a heart full of love, but you don´t want to understand". Doch schließlich wird auch Jakie von Gewissenkonflikten geplagt, als er erfährt, dass sein Vater schwer krank ist und deshalb ein Kantor in der Synagoge am wichtigsten jüdischen Feiertag schwer vermisst wird: "The Day of Atonement is the most solemn of our holy days - and the songs of Israel are tearing at my heart." Er ist hin- und her gerissen zwischen Tradition (Familie) und Moderne (seiner Karriere). Gerade in diesen Szenen wird dieses zentrale Thema des Films, der Bruch zwischen Vater und Sohn besonders deutlich, jedoch am Ende in der Stunde des Todes des Vaters ...
Auch wenn die Handlung des Films nicht das entscheidende Element ist, weshalb „Der Jazzsänger" auch heute noch so bedeutsam ist, so ist Geschichte von Jakie Rabinowitz doch sehr eindrucksvoll. Die schauspielerische Leistung der Protagonisten, allen voran natürlich Al Jolson ist superb. Schließlich gab es in dem Film noch keine gesprochenen Dialoge, die erwähnten Zitate werden alle in Form von Zwischentiteln eingeblendet. Deshalb ist es umso schwieriger, dem Publikum ohne Worte, die entsprechenden Stimmungen und Gefühle zu vermitteln. In dieser Hinsicht ist „Der Jazzsänger" noch immer ein Stummfilm, auch wenn durch derartige Aussagen wie etwa: "Here he belongs. If God wanted him in His house, He would have kept him there. He is not my boy anymore - he belongs to the whole world now." (Sara Rabinowitz) die Bilder noch an Eindringlichkeit gewinnen und die atmosphärische Dichte der Handlung ausdrücklich unterstrichen wird.
Eine bedeutende Szene des Films ist, als Jakie Rabinowitz sein Gastspiel in der New Yorker Broadway - Show annimmt. Da Jazz in der Regel in der damaligen Zeit von der afroamerikanischen Bevölkerung gesungen wurde, schwärzte sich Al Jolson sein Gesicht mit Ruß schwarz und ließ die Augen und Lippen jedoch weiß. Wie bereits erwähnt, belebte er damit die bereit wieder abklingende „black - face - performance", ein in Minstrel - Shows gängiges Mittel, mit dem Weiße ausdrücken wollte, was sie für afroamerikanische Kultur hielten. Ausgerechnet „Der Jazzsänger" der auch als erstes Hollywood - Filmmusical gilt, brachte diese rassistische Praxis wieder ins Blickfeld des Publikums.
Entscheidend ist jedoch, dass „Der Jazzsänger" als erster Tonfilm (Talking Picture) der Filmgeschichte gilt und somit den Stummfilm als vorherrschendes Filmmedium ablöste. Auch wenn wirkliche Dialoge noch fehlen, so sind die 88 Minuten Laufzeit des Films doch komplett unterlegt mit einem ansprechenden Soundtrack. Seit zwei Jahrzehnten versuchte die Filmindustrie bereits eine Art Tonfilm zu etablieren, jedoch alle Versuche scheiterten kläglich, weshalb viele Manager aus der Filmindustrie auch dachten, dass sich der Tonfilm nie durchsetzen würde. Für „Warner Bros." war der 6. Oktober 1927 jedoch ein historischer Moment, der die Firma vor dem drohenden Aus bewahrte. „Der Jazzsänger" hatte durchschlagenden Erfolg und brachte dem Tonfilm den endgültigen Durchbruch. Al Jolson selbst singt nur sieben Titel ("Toot Toot Tootsie", "Dirty Hands Dirty Face", "Blue Skies" und zweimal das Lied "Mammy"), die noch dazu bereits vorproduziert waren und später in den Film hinein geschnitten wurden, jedoch ist der Film mit dem Nadeltonverfahren gefertigt (Vitaphone). Dabei nutzt das Grammophon eine Nadel als Tonabnehmer und die Langspielplatte wurde entwickelt, die eine Laufzeit von elf Minuten hatte. In „Der Jazzsänger" wurden die Musik und der Gesang synchronisiert, die Dialoge und Monologe jedoch improvisiert.
Fazit:
Auch wen der Film nicht mit heutigen Maßstäben vergleichbar ist, so ist „Der Jazzsänger" doch als ein Meilenstein der Filmgeschichte zu betrachten. Das Bild - auch wenn es auf der vorliegenden DVD aufwändig restauriert wurde - ist altersbedingt dennoch etwas grieselig und nicht immer gestochen scharf. Auch die Schnitte der Kamera weisen einige schnelle Sprünge auf. Dadurch wirkt der Film erstmals etwas ansträngend, weil unsere Sehgewohnheiten derartige Werke nicht mehr gewohnt sind. Hat man sich aber erstmal darauf eingelassen und daran gewöhnt, so wird man unweigerlich von der immer noch aktuell wirkenden Handlung, dem großen schauspielerischen Können und der mitreißenden Musik vereinnahmt. Wenn man sich erstmal auf dieses „Medium" eingelassen hat, ist der Film - schon rein aus filmhistorischer Sicht - absolut sehenswert, denn schon die wenigsten wissen, mit welchem Film „die Bilder sprechen lernten." Besonders sehenswert ist auch die Bonus-DVD, die eine abendfüllende Dokumentation über die Anfänge des Tonfilms enthält.
(8,5 / 10 Punkten)