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Alfred Vohrer scheint, bei all seiner ureigenen Ernsthaftigkeit, heimlichen Feinfühligkeit und Tendenz zum Düsteren doch etwas übrig gehabt zu haben für den kleinen Scherz am Rande, gerne auch einen kleinen, seichten, anzüglichen Scherz am Rande. Jedenfalls konnte man sich stets darauf verlassen, das zuerst in seinen Edgar Wallace-Filmen stets der ewige Clown vom Dienst, Eddi Arent, eine umfangreiche, manchmal auch gerne zu großzügige Bühne für seine Spaßigkeiten erhielt, wie auch später, als der Kurs der Reihe in frostigere, zynischere Gewässer führte, die allgemeine Grausamkeit der Filme immer wieder durchbrochen wurde von kurzen, durchaus auch mal deplazierten Klamotten-Einlagen, die schon auch unter die Schicklichkeitslinie zielten. Für komödiantische Szenarien fehlte Vohrer - und das kann wohl gesagt werden ohne dadurch die bis heute sträflich unterschlagenen Talente des einarmigen Kommerzfilmers zu schmälern – schlicht das nötige Gespür für Timing, das rechte Einfühlungsvermögen, die „Magie des Augenblicks“. Er war in solchen Momenten stets zu angestrengt, es blitzte nicht, es schleifte. Ein bizarres Zeugnis dieses Unvermögens lieferte Vohrer zu Beginn seiner zweiten großen Karriere, kurz nach dem er von der Rialto-Film und der Wallace-Reihe zu Luggi Waldleitners Roxy Film übergelaufen war und dort einen fulminanten Einstieg mit seiner herausragenden Paul Hendriks-Adaption „Sieben Tage Frist“ gab. Im Anschluss an diese wortwörtlich reife Leistung fiel Vohrer in einen Abgrund, dem er stets gefährlich nahe war, jedoch häufig elegant zu umschiffen wusste: Das Zeitgeist-Loch. Mit seiner Einkehr in das „gelbe Haus vom Pinnasberg“ liefert Vohrer einen seiner periodischsten Filme, ein Kind seiner Zeit, eine Sex-Komödie. In den folgenden Jahren sollte sich dieses Subgenre zum einträglichsten Goldesel der deutschen Filmindustrie mausern – wofür „Das gelbe Haus am Pinnasberg“ allerdings sicherlich zuletzt verantwortlich ist.

Und dabei geht es doch pikanterweise – man höre und staune – um ein Bordell für Frauen, um einen Puff in dem unbefriedigte Hausfrauen und verlassene Krankenschwestern einkehren um auch einmal eine heiße Ferkelei zu veranstalten. Dass sich Vohrer mit seinem derb-frivolen Humor und seinem persönlichen Hintergrund – er war zu diesem Zeitpunkt der wohl erste deutsche Regisseur, der sich offen zu seiner Homosexualität bekannte – äußerlich für eine solche Prämisse empfahl, war leider ein Trugschluss Waldleitners, der als konservativer, pragmatischer Produzent der alten Schule nur wenig Feingespür für den Umgang mit seinen Regisseuren besaß (sein berühmtester Irrtum bleibt sicherlich der „Auftrag“ an Rainer Werner Fassbinder, für ihn „Lili Marleen“ zu inszenieren). Letztlich hat Waldleitner bekommen, was er wollte – ein triviales Lustspiel, bestehend überwiegend aus einer plumpen Aneinanderreihung bizarrer Anzüglichkeiten, die einzig durch die Prämisse der Handlung von Interesse sind, unkompliziert, kurz – und leider auch ausgesprochen platt und hölzern.

Man meint direkt zu spüren, mit wie viel Interesse aber gleichzeitig auch innerer Skepsis und Unwohlsein Vohrer zur Sache ging. Der kleine, anrüchige Scherz am Rande der Kriminalfilmhandlung, wie schnell kann er doch penetrant und ermüdend werden, wenn er plötzlich auf Spielfilmlänge ausgedehnt und seiner potentiell reizvollen Einbettung in ein grimmiges Umfeld beraubt wird. Vohrer war kein besonders talentierter Drehbuchautor und zog es vor, fertige Bücher umzusetzen. Warum er sich diesem „Schicksal“ im Laufe seiner fast 30igjährigen Regie-Karriere so willig ergab (und letztlich hat selbst jeder noch so biedere Auftragsfilmer irgendwann seinen leidenschaftlichen Moment), war mir lange ein Rätsel, zeigte sich doch trotz Vohrers unauffälliger Einpassung die damalige Filmindustrie, in kommerzielle Abwägungen und klare Muster, eine ganz eigene Vorgehensweise, eine ganz eigene Handschrift und ein poppig-exzentrischer Einfallsreichtum , mit der er den oft so seelenlosen und schon äußerlich billigen Welten seiner Genre-Filme einen eigensinnigen Willen einhauchte – zumindest im Optimalfall. „Das gelbe Haus vom Pinnasberg“, Vohrers einzige offizielle Drehbucharbeit (neben dem Drehbuch zum Wallace-Trash-Tief „Der Gorilla von Soho“) lässt erahnen, dass dem besonnenen Regisseur sehr wohl bewusst war, wie viel von jenem gewissen Feingefühl ihm beim Schreiben fehlte, jenem Gespür, mit dem er so leichthändig inszenieren konnte – stimmte denn das dramaturgische Konstrukt des Drehbuchs.
Das erotisch-klamaukige Treiben auf Vohrers Pinnasberg ist leider nicht mehr als eine Nummernrevue, eine Menge potentiell amüsanter Einfälle, zusammengekittet durch eine Kette stereotyper Handlungswendungen, gewürzt mit einem bemühten soziokulturellen Ansatz, den Vohrer durch die festgesteckten Grenzen des Sujets nicht ausloten sondern nur bemühen kann – er wirkt angestrengt. Man spürt, was Vohrer wollte, dass er durchaus einen beschwingten, leichten Film im Sinn hatte, dass er mit dem ältlichen Hamburger Mütterchen, das als ironisch gefärbte Erzählerin durch die einzelnen, mit Spitzenrändern unterteilten Kapitel des Films führt, seine Kiezromantik wollte. Dass ihm das Thema des damals so öffentlichen Generationenkonflikts, der hier aber amüsanterweise ausgerechnet durch Sexualität aufgelöst wird, am Herzen lag, dass er gerade in diesem so verruchten Milieu eine nostalgische, von den Subversionen der 68iger verschonten Heimeligkeit ausbreiten wollte und in diese merkwürdige Wahlheimat einen Großteil seiner Wallace-Stammdarsteller pflanzte [u. a. Eddi Arent als Puff-Aufseher, Siegfried Schürenberg als Besitzer, Tilly Lauenstein als seine Frau], dass er als Krimi-Spezialist sicherlich seinen hellen Spaß daran hatte, die einzige „Krimi-Szene“ des Films, ein tödlich endendes Eifersuchts-Drama, als schwule Einlage in einer sonst heteromanen Sex-Komödie zu gestalten. Und so weiter und so fort.

Da Vohrer sich weise selbst nie als Künstler, immer nur als Handwerker gesehen hat und seinen Produzenten – zumindest ist derartiges nicht überliefert – nie wirtschaftlich riskante „Selbstverwirklichungs-Scharmützel“ geliefert hat, ist es eher unwahrscheinlich, das die finale Fassung des gelben Hauses ein Flickwerk aus Produzentenhand ist – es erinnert in seiner Struktur und seiner mühsam von dem arg trivialen Schmodder abzusondernden Ambition an Vohrers schlechteste Filme für die Rialto, an das katastrophal uninspirierte Karl May-Spätwerk „Old Surehand“ oder an das gemeinsam mit Horst Wendlandt unter Pseudonym geschriebene Remake der „toten Augen von London“, den erwähnten „Gorilla von Soho“. Eine Aneinanderreihung einzelner Szenen, ohne die rechte Dramaturgie auch entsprechend klobig inszeniert. Vohrer war auf den Feinschliff der Drehbuchautoren angewiesen und ohne diesen war seine kreative Eigenenergie nutzlos, es war dieses Fundament, das es ihm immer wieder ermöglichte, sich als souveräner Handwerker zu beweisen.

Auch mit diesem Wissen fragt man sich trotz der liebenswert-angerosteten Kurzweil, die der Film doch verbreitet, wie es einem Regisseur wie Vohrer gelungen ist, eine so delikate Prämisse mit einem solch vertrauten und hochkarätigen Ensembe so unspektakulär und trocken in den Sand zu setzen. Es fehlt die Energie, es fehlen subversive Untertöne, die hier dringend notwendig gewesen wären - es taucht etwa in diesem Film über ein Bordell nicht eine einzige wirkliche Sex-Szene auf, findet keine Auseinandersetzung mit dem gezeigten statt - es fehlen vor allem auch greifbare Charaktere. Besonders an letzteren lässt sich im Verlauf von Vohrers Karriere in den 60igern das Talent des Regisseurs und die Entwicklung der deutschen Filmindustrie, ihr qualitativer Einbruch zurückverfolgen: Von einigen geradezu kunstvoll inszenierten, großartig gespielten Thrillern mit psychologisch bei aller Holzschnitthaftigkeit interessanten und spannenden Charakteren, „A-Movies“ hin zu schnell und ohne großen kunsthandwerklichen Anspruch heruntergekurbelten C-Streifen die sich mit den spartanischsten Attraktionen über ihre kurze Laufzeit retteten. Die Sexfilm-Welle der 70iger war nur die letzte sarkastische Konsequenz aus diesem Abstieg ins Stupide und der zunehmenden Aufspaltung von E(rnst) und U(nterhaltung); im Anschluss hat sich die deutsche Filmindustrie nach einem letzten Aufbegehren in den 80igern von diesem Fall nie mehr wirklich erholt.

Vohrer von diesem unrühmlichen Seitensprung schon. Kurz nach seiner Einkehr im gelben Haus wurde er zum Stammregisseur der Roxy für die populären, melodramatischen Verfilmungen der Romane von Johannes Mario Simmel und fand hier einen zweiten Hafen – die Taschentuch-Tragik dieser Stoffe, die oft in einer Katastrophe oder einem schwer erkämpften Neuanfang mündeten, deckte sich mit Vohrers eigener Bitterkeit und trieben ihn zu Höchstleistungen an, ein letztes Mal, bevor er dem Kino – wie so viele ehemalige Sterne am deutschen Genrefilm-Himmel – den Rücken kehrte und beim Fernsehen stetige Beschäftigung fand.
„Das gelbe Haus vom Pinnasberg“ ist zweifelsohne ein eher vernachlässigbarer Film im Schaffen des produktiven Vohrer, ein verstaubter, alter Ladenhüter, der heute in der Tat wie ein Dokument, wie ein Relikt einer vergangenen Ära und ihrer weniger eleganten, weniger „stylischen“ und revolutionären Seite. Wer Vohrer kennt und schätzt, ihn als ernstzunehmenden Regisseur innerhalb seiner selbst gewählten Dimensionen, innerhalb des kommerziellen deutschen Films dieser Tage ansieht und ihn innerhalb dieses heute massiv verpönten Kontextes respektiert, der wird hier aber auf einen interessanten Versuch stoßen, einen Versuch, ins Unbekannte vorzustoßen. Gut für Vohrer, dass ihm der künstlerische Misserfolg dieses Versuchs offenbar bewusst war. Sein Metier war das Dunkle, das trostlose, das ungezügelte, bestialische, rücksichtslose, leidenschaftliche, selbstsüchtige, abstoßende und verzweifelte am Menschen – und das daraus resultierende Grauen. Und der besondere Reiz, eben dieses rustikal, direkt und ohne falsche Scheu und verklemmte Differenzierungsansprüche mit scharfem, aber pragmatischen Blick an die Oberfläche zu kehren, mit klassischem Suspense oder persönlichen Katastrophen. Man kann Vohrer für diese Filme dankbar sein und ihm daher eine würdelose kleine Sünde wie „Das gelbe Haus am Pinnasberg“ verzeihen.

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