„Nachts, wenn die Neonreklamen aufleuchten, die Sterne durch den Smog kommen und die Männer wild auf Sex sind, finden sie hier das, was sie suchen: jung, jünger, am jüngsten. Die Nachfrage bestimmt das Angebot. Und die Qual der Wahl macht auch Onkel Gustav vom Seniorenverein Graue Panther immer noch heiße Ohren – auf dem BABYSTRICH IM SPERRBEZIRK!“
Wenn ein Film mit solch poetischen Worten beginnt und dazu zeigt wie ein greiser Freier sich von einer Straßenstrichdirne zur nächsten schleppt, dann kann man sicher sein, dass man in den folgenden eineinhalb Stunden einiges zu sehen bekommen wird – manches vielleicht sogar, das man nicht unbedingt sehen wollte. Und BABYSTRICH IM SPERRBEZIRK (ich frage mich, wer sich eigentlich solche Titel ausdenkt) ist leider eine einzige Ansammlung von Szenen, die besser nie das Licht der Leinwand erblickt hätten.
„Ein authentischer Filmbericht“ sei das Machwerk. Das behauptet zumindest der Vorspann, der einsetzt, während „Onkel Gustav“ noch immer die jungen Mädchen nach einer passenden abklappert. Obwohl BABYSTRICH IM SPERRBEZIRK von Anfang an versucht, sich den Anstrich einer seriösen Reportage zu geben, scheitert er damit bereits nach den ersten Minuten. Authentisch ist hier nämlich wenig und seriös schon gar nicht. Was genau das Ziel der angeblichen Dokumentation sein soll, worauf der Film im Grunde hinaus will, bleibt völlig im Dunkeln. Vielmehr stellt das Ganze eine Odyssee des Regisseurs Otto Retzer (dessen Filmographie sich regelrecht unheimlich liest) durch die schummrige Nachtwelt verschiedener deutscher Großstädte dar. Begonnen wird in Westberlin, dieser „Oase in der Wüste des real existierenden Sozialismus“, weiter geht es in Hamburg, Düsseldorf, Köln. Wobei es im Grunde unwichtig ist, in welcher Stadt sich das Filmteam gerade bewegt, denn die Rotlichtbezirke sehen überall gleich aus. Retzer strolcht nun also durch die sündigsten Viertel, interviewt immer mal wieder verschiedene Personen wie Zuhälter, Betreiber von freizügigen Lokalen oder Prostituierte, während ein Off-Sprecher das Geschehen in einer Mischung aus Pseudo-Seriosität und Stilblüten wie denen des Eingangszitats kommentiert. Viel hat BABYSTRICH IM SPERRBEZIRK mit einem typischen Sex-Mondo gemein, wobei man aber mehr als deutlich spürt, dass sich das Genre im Jahre 1983 schon längst auf dem absteigenden Ast befand.
Um es kurz zu machen: ich kann keinen einzigen Aspekt dieses Machwerks in irgendeiner Weise loben. Nur einige wenige der Interviews scheinen nicht gestellt zu sein, beim Großteil ist es mehr als deutlich, dass es sich um ganz schlechte Fakes handelt. Ebenfalls zu Beginn spaziert Retzer durch das Berliner Nachtleben und spricht jede Prostituierte an, der er begegnet, um sie mit seinen Fragen zu behelligen. Jedes der Mädchen reagiert mit einer Stimme, die klingt, als würde es seinen Text gerade von irgendeiner Tafel außerhalb des Blickfelds der Kamera ablesen. Und selbst Sätze wie „Verpiss dich, du Wichser!“ hören sich dabei auswendig gelernt und gestelzt an. Ich kann mir gut vorstellen, dass das Team jede der Damen mit ein paar Geldscheinen dafür anwarb, dass sie sich ein paar Minuten vor der Kamera als Laienschauspielerin betätigte.
Die Interviews, die tatsächlich echt zu sein schienen, bieten nichts, was irgendwen interessieren könnte. Retzer erweist sich als außerordentlich mieser Interviewer, der vor allem völlig belanglose, teilweise schwachsinnige Fragen stellt. In einer Szene, wo er mit einer Prostituierten auf einem Stundenhotelzimmerbett liegt, kann er sich das Kompliment „Du hast einen bildhübschen Busen“ ebenso wenig verkneifen wie die Frage, ob sie denn in diesem Zimmer lebe, ob das ihre Wohnung sei. Die Atmosphäre des Films ist schmuddelig, die vielen Softsexszenen, die man einstreut und die das eigentliche Herzstück des Films bilden (die Interviewszenen dienen wohl eher als Umrahmung und als Tarnung des Eigentlichen), sind allesamt äußerst unästhetisch und so voyeuristisch wie möglich gefilmt. Genüsslich gleitet die Kamera über Schamhügel und blanke Brüste, über weite Strecken scheint der Film seinen angeblichen dokumentarischen Anspruch völlig vergessen zu haben und suhlt sich förmlich in seinen Massen nackter Haut.
Was mich sehr störte, waren die vereinzelten Spielszenen auf dem Niveau damaliger Sexkomödien. Da bietet eine Münchnerin sich an einem Berliner Straßenstrich an und verschreckt den Freier damit, dass sie seinen und er ihren Dialekt nicht versteht. In einer der peinlichsten Szenen des Films kopulieren ein Mann in englischer Bobby-Uniform und eine Frau miteinander, wobei sie ihm per Trillerpfeife die Heftigkeit seiner Stöße vorgibt. Nicht nur, dass diese Klamaukszenen rein gar nichts mit dem Rest des Films zu tun haben, sie wirken auch vollkommen deplaziert und schwachsinnig. Am schlimmsten jedoch fand ich die Filmmusik. BABYSTRICH IM SPERRBEZIRK gehört wohl zu den Filmen mit den schlechtesten Soundtracks aller Zeiten. Was man hier an Musik hören muss, das würde man als Mixtape nicht mal seinem schlimmsten Feind zumuten wollen und ist einfach grauenhaft.
Dass man einen roten Faden ebenso sehr vermisst wie eine einzige nützliche Information, liegt freilich in der Natur der Sache. BABYSTRICH IM SPERRBEZIRK will keine ernst zu nehmende Dokumentation sein. Es ist ein Film für brave Bürger, die unter dem Deckmantel des Journalismus das serviert bekommen wollen, was sie sich im echten Leben nicht zu betrachten trauen. Der Film funktioniert wie ein Blick in ein verbotenes Zimmer. Ein Blick aus Geilheit, der vorgibt, man werfe ihn aus reinem nüchternem Interesse durchs Schlüsselloch. Das macht BABYSTRICH IM SPERRBEZIRK zu einem verlogenen Film. Offensichtlich ist, wenn die Kamera lüstern über die Körper der teilweise blutjungen Mädchen fährt, für was ein Publikum solche Szenen gedacht sind, und dennoch bringt vor allem das Ende auf den Punkt, dass der Film, obwohl er so tut, als wolle er nicht moralisieren, nichts anprangern oder gar beurteilen, alles, was er die neunzig Minuten zuvor präsentierte, ganz und gar nicht befürwortet. Im Grunde stellt er eine einzige Nummernrevue dar. Alle gezeigten „Perversionen“ fungieren als Kuriositäten, mit denen man den Betrachter erregen will, obgleich man behauptet, davon eher erschreckt oder abgestoßen sein. In einen Topf geworfen wird hier alles, was man im Rotlichtmilieu findet, das zu einer neonbunten Parallelwelt wird, in dem Kriminalität und Exzess herrschen. Diese Abgrenzung und Eingrenzung ist wichtig, damit der brave Bürger sich zurücklehnen und von all den „Perversionen“ als etwas denken kann, das „da draußen“ existiert und nicht in seiner unmittelbaren Nachbarschaft, oder gar in ihm selbst. Homosexuelle, Transvestiten, Freudenmädchen, Stripperinnen: das alles gibt es zweifellos, doch nicht in der eigenen heilen Welt. Sein Subtext ist also ein denkbar arroganter, verurteilender, regelrecht rückwärtsgewandter.
Aber auch abgesehen davon halte ich BABYSTRICH IM SPERRBEZIRK für eine einzige Katastrophe. Hier kommt alles zusammen, was man eigentlich nur in kleinen Dosen zu sich nehmen sollte. Schlechteste Sexzoten, gräuliche Musik, fragwürdige Kommentare, Schmuddelstimmung. Um den Film in passender Atmosphäre zu betrachten, sollte man ihn sich in einem schmierigen Bahnhofskino zu Gemüte führen, oder, so wie ich, als ramponierte VHS aus den 80ern. Nein, im Ernst: einer der schlechtesten Filme, die ich kenne, schier ungenießbar, so mies, dass es schon nicht mehr unfreiwillig komisch ist.