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„Der schießende Holländer - Paul Verhoevens RoboCop mischt das amerikanische Actionkino auf"

Zuerst wollte Paul Verhoeven den Film gar nicht machen. Nach wenigen Seiten warf er das Skript in die Ecke. Ein tumber Science Fiction-Actionfilm war nicht gerade das, was sich der Holländer für sein Hollywood-Debut vorgestellt hatte. Filme für den amerikanischen Mainstream-Markt wollte er machen, deshalb war er emigriert, auch um das amerikanische Publikum besser zu verstehen. Das hieß aber nicht, all das über Bord zu werfen, was ihn in seiner Heimat ausgezeichnet hatte: subversive Gesellschaftskritik, schwarzer Humor, beißende Ironie. „RoboCop" schien nichts davon zu bieten, ein Irrtum von dem ihn seine Frau befreite, die mehr als nur die ersten paar Seiten gelesen hatte. Zum Glück. Für ihn, für uns und die Filmgeschichte.

Nachdem Verhoeven erkannt hatte, welches Potential in dem Projekt steckte, machte er sich mit Feuereifer ans Werk. Ed Neumeiers Drehbuch war gespickt mit Anspielungen, bissigen Kommentaren und Seitenhieben auf die USA der 1980er-Jahre. Sei es die fast schon traditionell leidenschaftliche Liebe zu Bewaffnung und Aufrüstung, die unter der Reagan-Administration noch einmal eine neue Dimension erreichte. Sei es die schon von Oliver Stone in „Wall Street" entlarvte „Gier ist gut"-Mentalität der hemmungslosen Profitorientierung großer Konzerne, die beim Streben nach totaler Gewinnmaximierung keinerlei Grenzen mehr kannte, schon gar nicht moralische. Seien es die größtenteils hausgemachten Probleme von Drogen, Kriminalität und Armut, denen man lediglich mit verstärkter Polizeigewalt begegnete und damit den sich bereits recht flott drehenden Teufelskreis nur noch weiter beschleunigte.

All dies verhandelt Verhoeven im Rahmen eines grellen Action-Spektakels, das in erster Linie auf krachige Unterhaltung setzt. Mann kann die giftigen Subplots daher auch gänzlich übersehen und dennoch Spaß haben. Ist man sich derer bewusst, ist der aber definitiv ungleich größer. Dem Holländer wurde oft und gerne ein unschöner Hang zu Exploitation und Gewaltverherrlichung vorgeworfen. Nicht nur, aber vor allem im Zusammenhang mit seinen vermeintlichen Science-Fiction-Schlachtplatten „Total Recall", „Starship Troopers" und eben vor allem „RoboCop". Ein Urteil, das falscher nicht sein könnte. Die zweifellos sehr drastischen Gewaltdarstellungen heben stets einen doppelten Boden und halten dem Zuschauer einen Spiegel vor.
In „Robocop" ist die Entstehung bzw. der Werdegang des Titelhelden offenkundig mit christlicher Symbolik aufgeladen, gepaart mit spezifisch amerikanischen Auslegungsvarianten. Als Police Officer Alex Murphy (Peter Weller) von einer Straßengang regelrecht hingerichtet wird, schießen die Gangster den Cop buchstäblich in Fetzen. Verhoeven zeigt diese „Kreuzigungsszene" in allen grausamen Details und in einer beinahe quälenden Länge. Der Kampf für das Gute und die Gerechtigkeit wird endet in einem regelrechten Leidens-Martyrium. Und in diesem Stil geht es weiter.
Wenn der klinisch tote Murphy von einem Karrieristen der Rüstungsfirma OCP zu einem praktisch unkaputtbaren Roboter-Polizisten umgebaut wird und fortan auf den Straßen von Detroit für Recht und Ordnung sorgt, ist die Auferstehungsmetaphorik unverkennbar. Der Cop als Heilsbringer gegen alles Unrecht der Welt. Ein uramerikanischer Heilsbringer, der seine Lehre mit der Waffe verbreitet. Es ist kein Zufall, dass er diese wie ein Westernheld mehrfach um den Abzugsfinger wirbelt, bevor sie in seinem mechanischen Holster verschwindet. Vor dem finalen Showdown auf einem maroden Fabrikgelände - auch das eine Western-Allegorie - stapft der nun ohne Helm deutlich menschlicher erscheinende RoboCop durch eine seegroße Wasserlache, was den Eindruck erweckt er könne über das Wasser laufen.
Am Ende wandelt sich der bis dato streng gesetzestreue Messias zum altestamentarischen Rächer, der dem im amerikanischen (Ge)Rech(tigkeit)s-Verständnis stets latent unter der Oberfläche lauernden Hang zur Selbstjustiz nachgibt. Verhoeven inszeniert diese Entwicklung keineswegs als unausweichlich oder gar schicksalhaft, sondern als bewusste Entscheidung Murphys. Indem er seine eigenen Mörder richtet, findet er zu sich selbst. Das Töten wird zur Kartharsis, ein Befreiungsschlag nicht nur für die malträtierte Seele des Menschmaschine, sondern auch für von Kriminalität malträtierte Gesellschaft. Ein galliger Kommentar zu vermeintlich uramerikanischen Instinkten, dem Verhoeven durch seine grelle Inszenierung und Optik erst so richtig Gewicht verleiht.

Knallige Farben und ein kolportagehafter Erzählduktus unterstreichen den Comic-Charakter des Films und seinen durch und durch künstlichen Anstrich. Alles und jeder wirkt überzeichnet, auf die Spitze getrieben, mindestens aber scharf akzentuiert. In dem kulissenhaften Detroit der Zukunft gibt es nur Täter und Opfer, dazwischen agiert eine überforderte Polizei, die zum allgemeinen Prügelknaben abgesunken scheint. Die Bosse des alles - auch die privatisierte Polizei - beherrschenden Industriekonzerns OCP (Omni Consumer Products) sind entweder schmierige Opportunisten, oder eiskalte Machtmenschen, in jedem Fall aber hemmungslos skrupellos. Von den die Stadt terrorisierenden Verbrechern unterscheiden sie lediglich ihre Maßanzug-Garderobe sowie das Privileg, sich nicht selbst die Hände schmutzig machen zu müssen. Ansonsten versteht man sich prächtig - so wie OCP-Vorstandsmitglied Dick Jones (Ronny Cox) und Bandenchef Clarence Boddicker (Kurtwood Smith) -, vor allem wenn es gilt, gemeinsame Gegner endgültig auszuschalten. Was den einen ihr Zynismus, ist den anderen ihr Sadismus, die gemeinsame Klammer ist Menschenverachtung und Gier.

Der satirische Unterton zieht sich wie ein roter Faden durch den Film und bleibt keineswegs auf RoboCop/Murphy sowie seine Gegner beschränkt. Vom ersten Augenblick an feuert Verhoeven geradezu genüßlich eine Ironie-Breitseite nach der nächsten ab. So beginnt er den Film mit einer Reihe fiktiver TV-Werbe-und Nachrichten-Clips, die vor Sarkasmus nur so triefen. Dabei werden zeitaktuelle Brennpunktthemen wie Umweltkatastrophen, gesellschaftliche Missstände, oder das Reagansche Raketenabwehrsystem SDI mit triefendem Zynismus serviert. Ein cleveres Stilmittel, auf das er im weiteren Verlauf noch mehrfach zurück greift. Clever auch, weil hier gleichzeitig der ganz auf Effekthascherei und Sensationslust abgerichtete Stil US-Amerikanischer TV-Programme zur Zielscheibe wird. In bewusst groben und grellen Farben wird so eine von Verbrechen, Korruption und Habgier bestimmte Gesellschaft gezeichnet, die völlig aus den Fugen geraten scheint.
Besonders werden dabei zwei Eckpfeiler der Reagan-Administration ins Visier genommen. Zum einen die gezielte Privatisierung von zuvor dem Staat vorbehaltenen Bereichen. In „RoboCop" wird dieses Politik von OCP auf die Spitze getrieben. Längst hat er alle Lebensbereiche erfasst, produziert von Nahrungsmitteln über Waffen völlig unterschiedliche Dinge, kontrolliert Medien, Politiker und eben auch den gesamten Polizeiapparat von Detroit. Eine zweifellos sehr überspitze Dystopie, vor dem Hintergrund aktueller Globalisierungs-Diskussionen oder zahlreicher Firmen-Fusionen zu Megakonzernen aber durchaus mit hellsichtigen Tendenzen.
Ein weiterer klarer Seitenhieb auf die damalige US-Politik ist die Torpedierung des kompromisslosen und offensiv voran getriebenen Primats von Fortschritt und Technik. Speerspitze ist sicherlich das vehement forcierte SDI-Programm, angesichts seiner futuristischen Ausrichtung auch „Star Wars" genannt. In „RoboCop" hat OCP ebenfalls eine hochtechnisierte Allroundlösung für die Bekämpfung sämtlicher Feinde parat: den waffenstarrenden Polizeiroboter E(nforcement)D(roid)-209. Seine Präsentation vor den OCP-Bossen gerät allerdings zum blutigen Desaster, als ED-209 aufgrund einer Fehlfunktion ein Vorstands-Mitglied in Fetzen schießt. Die beißende Ironie wird durch die Reaktion von Dick Jones noch „abgerundet" der keinerlei Anlass sieht das Projekt einzustellen. Fehlerhafte Produkte habe man schließlich schon oft an den Mann gebracht.

Die Szene ist zusammen mit der Hinrichtung Murphys hauptverantwortlich für die Indizierung bzw. teilweise drastische Kürzung des Films. Schnell kam der Vorwurf der Gewaltpornographie, der gerade aufgrund der Drastik völlig ins Leere läuft. Der von ED-209 durchsiebte Manager erleidet einen dermaßen exaltierten, comichaften Tod, dass man die bewusste Übertreibung förmlich greifen kann.
Bei Murphy ist die Intention eine andere, hier fehlt auch das komische Element. Verhoeven wollte so eine Identifikation mit dem Helden aufbauen, da dieser ja bereits nach wenigen Filmminuten hinter der Helmmaske des RoboCop verschwindet. Zweifellos kommt hier auch Verhoevens ambivalentes Verhältnis zur Gewalt zum Tragen, ein Verhältnis das zwischen Faszination und Abscheu schwankt. Wie sehr er damit die grausamen Erlebnisse während des zweiten Weltkriegs verarbeitet ist spekulativ, tatsächlich hat er aber die verharmlosende Darstellung physischer Gewalt insbesondere im Hollywoodschen Genre-Kino als verlogen empfunden. Ach hier dient wieder das Stilmittel der Hyperbel der Entlarvung. Neben den bereits erwähnten christlichen Konnotationen, ist Murphys Entwicklung während des Films damit vor allem auch ein Zerrbild amerikanischer Actionphantasien.

Blutige, teilweise splattrige Gewaltspitzen im Verbund mit entrüstetem Aufschreien der Sittenwächter, ein poppiger Inszenierungsstil gepaart mit einem sehr simplen Revenge-Grundplot, was eine leichte Konsumierbarkeit ermöglicht sowie eine Reihe giftiger Sarkasmus-Salven, die je nach Veranlagung auch feiernd weggegrölt werden können, der rasant erreichte Kultstatus ist beinahe schon logisch.
Ein wesentlicher Faktor ist aber ohne Frage die ikonische Erscheinung des halbkybernetischen RoboCop. Die glänzende stahlgraue Rüstung orientiert sich an Fitz Langs berühmter Roboterfrau aus seinem Stummfilmklassiker „Metropolis" (1927), die auch für den ebenfalls kultigen Star Wars-Droiden C3-PO Pate stand. Auch eine andere Science-Fiction-Kultfigur aus den 1980er Jahren diente als Anregung. In James Camerons „The Terminator" (1984) stand ebenfalls eine nur noch rudimentär menschliche Tötungsmaschine im Zentrum einer finsteren Zukunftsvision. Kurzzeitig war sogar Arnold Schwarzenegger als mechanischer Cop angedacht, aber der passte nicht in das ohnehin schon wuchtige RoboCop-Kostüm. Der schmächtige Method-Actor Peter Weller hatte da weniger Schwierigkeiten, konnte sich aber nicht mit den arg limitierten Ausdrucksmöglichkeiten anfreunden. Praktisch aus dieser Notlage kam die Idee, den Cyborg-Cop mit deutlich schwerfälligen und eckigen Bewegungen zu spielen. Unterstützt durch entsprechende Toneffekte und sein martialisches Äußeres wird er ähnlich wie Kollege „Terminator" zu einer wuchtigen und imposanten Kampfmaschine mit enormem Wiedererkennungswert. Dieser popkulturelle Siegeszug konnte auch von zwei schwachen Fortsetzungen und einer weichgespülten TV-Serie nicht aufgehalten werden. Zumal die unweigerlichen Folgeprodukte erst recht die Stärken von Verhoevens Original heraus stellten.

Im Science-Fiction-Kino der 1980er Jahre hat „RoboCop" (1987) neben „Blade Runner" (1982) und „The Terminator" (1984) sicher den nachhaltigsten Eindruck hinterlassen. Was er den inhaltlich ähnlich gelagerten, aber letztlich deutlich konventionelleren Dystopien sogar voraus hat, ist seine bösartige Gewitztheit sowie eine erstaunliche Weitsichtigkeit hinsichtlich zukünftiger Entwicklungen. Aufgrund seiner schrillen Pulp-Attitüde, der simplen Rache-Geschichte und vor allem der exzsessiven Gewaltdarstellung wurde und wird der intelligente Unterbau gerne übersehen, oder als nicht ganz ernst zu nehmende Spielerei abgetan. In Wahrheit verhält es sich eher anders herum.
Paul Verhoeven hat diebische Freude daran, seine teilweise bitterbösen Einsichten und Überzeugungen im Kontext krachender Unterhaltungsbretter zu präsentierten. Ihm gelingt damit das seltene Kunststück intellektuelle Filmfreunde für brachiale Actionorgien zu interessieren und Anhänger der derben Filmkunst mit nachdenkenswerten Botschaften zu überraschen. Und der Erfolg gab ihm recht. „RoboCop" war nicht nur ein Box-Office-Erfolg und ebnete so Verhoevens hollywoodsche Mainstream-Karriere, der brutale Actionstreifen wurde auch vom Feuilleton gelobt, das solchen kompromisslosen Genrevertretern für gewöhnlich äußerst kritisch begegnet. Der ebenfalls gern unterschätzte Arnold Schwarzenegger hatte Verhoevens besondere Talente schon damals sofort erkannt und wollte ihn unbedingt für seinen nächsten Film „Total Recall". Für beide das endgültige Ticket in den Action-Olymp und der Beweis, dass „RoboCop" in punkto Originalität und visionärem Gehalt keine Eintagsfliege war. Obwohl das seine filmhistorische Ausnahmestellung oder seinen Unterhaltungswert keinesfalls geschmälert hätte.


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Literatur:

Keesey, Douglas / Duncan, Paul, Paul Verhoeven, Köln 2005, S. 94-107.

Stiglegger Marcus, Robocop - Das Gesetz ist die Zukunft, in:
   Koebner, Thomas (Hg.), Filmgenres: Science Fiction, Stuttgart 2003, S. 471-474.

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