Wenn Mathematiker zu Philosophen werden.
Damit ließe sich der Grundgedanke hinter „Pi“ wohl am treffendsten beschreiben. Die titelgebende Kreiskonstante, die seit Entdeckung in der Antike wegen ihres transzedenten Wertes für Faszination unter den Mathematikern ausübt, ist dabei nur ein Ansporn, um auch andere nicht zu 100 prozent berechenbare Gebiete aus der Natur und sogar Gesellschaft zu schematisieren. Dieses Vorhaben hat sich das begnadete Mathe-Genie Max Cohen (Sean Gullette) in den Kopf gesetzt, da nachweislich alle Systeme in der Natur durch die reine Darstellung von Zahlen Muster entstehen lassen, und somit kalkulierbar sind. Schlussfolgernd kommt er zur durchaus gewagten Hypothese, dass sich alle Vorgänge auf der Erde mathematisch erfassen lassen.
Besessen von dieser Idee, lebt Max stark abgekapselt von seiner Außenwelt, bastelt in seinen 4 Wänden an seinem Computer „Euclid“, verlässt die Wohnung nur im Notfall, und meidet bis auf seinen Mentor Sol jeglichen Menschenkontakt. Da er mit Sol jedoch auch nur seine Theorien diskutiert, bleibt er in seinem eigen erschaffenen Mikrokosmos um Zahlstrukturen gefangen, und gönnt sich dabei keine Auszeit. Der Ausdruck seiner Zurückgezogenheit und die Fixierung auf das scheinbare Lebenswerk macht sich dann schließlich in seinen paranoiden Wahnvorstellungen bemerkbar, denen er sich mit reichlich Pillen zu entziehen versucht.
Max's schlichter Lebensstil zeichnet sich auch in der Inszenierung von Regisseur Darren Aronofsky aus. Sein trostloses und trockenes Leben, das immerhin den gesamten Film einnimmt wird mit der entsprechenden Farblosigkeit, sprich Schwarz-Weiß Bildern wiedergegeben, und kann dabei besonders bei Nahaufnahmen in Max's Gesicht mithilfe von gekonnt positionierten Schattierungen memorable Bilder schaffen. Als künstlerischen Ausdruck von Cohens Paranoia konfrontiert Aronofsky seinen leidenden Charakter mit allerlei ekliger Ungeziefer, und vertraut dabei auf einen recht simplen Score, der entweder bedrückend und verstörend ist, oder mit seinen technoiden Samples Hektik anmutet. Im Zusammenspiel mit Sean Gullettes stets gestresstem Gesichtsausdruck und seiner tristen Umgebung kommt mit der doch recht seltsamen Musik (gerade in den überwiegend ruhigen Momenten) schon fast Lynch Stimmung auf. Max bei seinen Berechnungen und Überlegungen zuzuhören-/sehen ist durchaus von dichter Atmosphäre gespickt, doch irgendwann gerät er in Gefahr.
Sein überirdisches Talent und Streben nach ultimativer Erkenntnis bleiben nicht unbeobachtet, und schon bald sind eine korrupte Aktienfirma, sowie eine fanatische Gruppe von kabbalistischen Juden aufmerksam auf ihn geworden, und versuchen sein Wissen für ihre Zwecke zu missbrauchen.
Die 216 stellige Zahl, die dabei als Teil der Lösung zur ultimativen Berechenbarkeit führen soll, wird dabei mit der nötigen Diskretion gefilmt, so dass empörtes Aufschreien aus der mathematisch gebildeten Zuschauerecke möglichst außen vor bleibt, denn schließlich fußt diese Zahl aus realistischer Sicht auf pseudo-wissenschaftlichen Fundament.
Trotzdem hat man das Gefühl zusammen mit Max Cohen etwas ganz großem auf die Spur zu kommen, denn auch wenn der Film keinen Nobelpreis durch seine durchaus interessanten Philosophien gewinnen kann, fühlt er dem angestrebten Genre direkt auf den Zahn. Darren Aronofsky ist es erstaunlich gut gelungen Science Fiction auf eine ungewöhnlich nüchterne Art und Weise zu präsentieren, die jeglichen Futurismus und High-Tech Projektile entbehrt, und die fiktionalen Spekulationen stattdessen ausschließlich in der theoretischen Wissenschaft aufleben lässt. Und dabei ist der Gedanke, den Max Cohen verfolgt gar nicht so abwegig, da er immerhin auch keine fest bestehende Grundsätze der Natur ausschließt.
Nur bei dem Rabbi wird es dann doch ziemlich fragwürdig.
Dieser nämlich ist auf der Suche nach dem Namen Gottes, wie er in der Tora mit dem Tetragramm JHWH beschrieben wird. Die Vermutung dieses vermeintlichen Schriftgelehrten, der Gottesname bestünde aus einem 216stelligen Begriff, ist absurd, was durch die Existenz des Tetragrammes eindeutig widerlegbar ist. Mal den Wahrheitsgehalt und die Glaubwürdigkeit der Bibel außen vor gelassen, wurde hier aus etwas Science Fiction gemacht, das eigentlich keine ist.
Ein doch sehr fader Beigeschmack, wo der Film doch ansonsten hervorragend mit bildenden Monologen punkten kann, wenn Max in seinen Ausführungen Querverweise auf diverse mathematische Errungenschaften aus der Antike oder Renaissance macht, wie etwa den Goldenen Schnitt oder die Goldene Spirale.
Wer Mathematik nie mochte und algebraische Grundsätze als vollkommen ausreichend für den Alltag ansieht, könnte bei Pi ein klein wenig überfordert sein, auch wenn es primär gar nicht so wichtig ist Cohens Suche nach der universalen Rechen-Formel in jedem Schritt nachvollziehen zu können, denn ganz stark abstrahiert bekommt man als Zuschauer einen leicht verstörten Charakter gezeigt, der sich sein Talent zu sehr zum Leben macht, und dabei die einfachen Dinge, die zum Menschsein dazugehören, vernachlässigt. Die Tatsache, dass Max Cohen in seinem gesamten Dasein im Film als Mathematiker kein einziges Lächeln über die Lippen bekommt, ehe er zu einer bizarren Maßnahme zur Selbstverdummung greift, ist ein deutliches Zeichen dafür zu welch freudlosen Geschöpfen einen das Streben nach Wissen machen kann.