„Zurück ist keine Option: Roman- und Filmheld auf Annäherungskurs"
Jack Reacher ist kein angenehmer Zeitgenosse. Er ist ein Herumtreiber, ohne festen Wohnsitz, ohne geregelte Arbeit, ohne relevante Sozialkontakte. Gerät man mit ihm aneinander, kann das mindestens extrem schmerzhaft ausgehen. Der ehemalige Militärpolizist ist alles andere als zimperlich und ein Experte im Töten, ob mit oder ohne Waffe. Thrillerautor Lee Child hat es mit diesen wenig umgänglichen Charakter immerhin schon auf 21 Romane und einer ansehnlichen Fangemeinde gebracht. Das schrie förmlich nach einer Kino-Version.
Vor vier Jahren war es dann endlich soweit ("Jack Reacher") und so sehr sich seinerzeit die Gemüter über die Besetzung der Hauptrolle mit dem dunkelhaarigen und eher kleinwüchsigen Tom Cruise erhitzt hatten, so sehr verstummten die meisten Unkenrufe nach Filmstart. Cruise sah zwar so gar nicht wie der Roman-Reacher aus, traf dafür aber in punkto Verhalten, Auftreten und Ausstrahlung voll ins Schwarze. So gesehen ist es ein wenig verwunderlich, dass man sich für die Fortsetzung vier Jahre Zeit ließ, zumal Cruise inzwischen auch schon zur Generation 50+ zählt.
Fast noch überraschender war allerdings die Wahl der Romanvorlage. „Never go back" ist einer der neuesten Reacher-Romane (2013), aber sicher auch einer der schwächsten. Dazu kommt mit Major Susan Turner eine handlungsrelevante Figur, die bereits in einem früheren Roman eingeführt worden war. Ein Manko, das der Film mit einer anfänglichen Off-Erzählung nur mühsam kaschieren kann.
Glaubt man Produzent Cruise und Regisseur Ed Zwick, dann fiel die Entscheidung für „Never go back" aufgrund der spannungsreichen Dreieckskonstellation Reacher - Turner - Samantha, die den einsamen Helden in ungewohnte emotionale Beziehungen zwingt. Die in Ungnade gefallene und des Hochverrats bezichtigte Militärpolizistin Turner ist eine ebenso starke Persönlichkeit wie Reacher und nicht willens sich ihm unterzuordnen. Und der aufmüpfige Teenager Samantha könnte gar seine uneheliche Tochter sein. Der kaltschnäuzige Held kann damit trotz gemeinsamer Interessen nicht wie gewohnt autark agieren und sieht sich mit ungeahnten Hindernissen wie Rücksichtnahme, Kompromissbereitschaft und Beschützerinstinkten konfrontiert.
Regisseur Edward Zwick legt dann auch den Fokus klar auf diese emotionale Komponente der Handlung, was einerseits der stärkeren Akzentuierung der Hauptfigur zugute kommt, andererseits aber die eigentliche Thrillerhandlung (zu) stark in den Hintergrund drängt. Dass diese um eine Verschwörung innerhalb des US-Militärs im Kontext illegaler Waffengeschäfte wenig originell und sehr vorhersehbar daher kommt, macht das Problem noch augenfälliger. Schließlich fehlt es an einem charismatischen und vor allem gewitzten Gegenspieler, so dass der Druck auf den Helden mehr behauptet als glaubhaft vermittelt wird.
In erster Linie ist es das Zusammenspiel zwischen Cobie Smulders (die beherzt gegen ihr komisches „How I met your mother"-Image anspielt) und Tom Cruise, welches den Film in der Spannungs-Spur hält. Beide sind aufeinander angewiesen, aber beide wünschten es wäre nicht so, da sie die Methoden des jeweils anderen ablehnen. Danika Yarosh sorgt als Samantha für zusätzliches Störfeuer bei diesem Duo wider Willen und spielt der Gegenpartei ungewollt in die Karten. Leider nutzt Co-Autor Zwick diesen Plotstrang nur halbherzig und verschenkt damit einiges an Thriller-Potential.
Dass die Action ebenfalls nur dosiert integriert wird ist wiederum vorlagentreu und gesamtkontextlich stimmig. Reacher ist kein Superheld, oder eine ziellos um sich schießende Ein-Mann-Armee. Trotz seiner kämpferischen Fähigkeiten arbeitet er vornehmlich analytisch und kombinatorisch. Er ist drastischer Gewalt nicht abgeneigt, aber sie dient nicht dem aufklärerischen Vorankommen, sondern meist dem Schutz der eigenen Haut. Sie ist weniger ein Mittel der Einschüchterung und Provokation, sondern in erster Linie eines der Selbstverteidigung. Natürlich kann das für die Romane so typische Stilmittel des geistigen Durchspielens sämtlicher kommender Schläge, Tritte und Verletzungen des Gegners filmisch nicht adäquat umgesetzt werden. Dennoch trägt die Kampfchoreographie dem insofern Rechnung, dass Reacher enorm zielgerichtet, ökonomisch und auf maximale Wirkung hin kämpft. Diese rohen körperlichen Auseinandersetzungen sind dann auch das Highlight des Films, zumal sich sich wohltuend von den comicartigen und realitätsfernen Kloppereien moderner Blockbuster absetzen. Besonders gelungen ist in dieser Hinsicht der Auftakt, der lediglich das Ergebnis von Reachers Fertigkeiten zeigt.
Zwick inszeniert insgesamt unaufgeregt, fast schon unauffällig, aber angesichts der dünnen Handlung maximal effektiv. Der Film ist kein Spannungsreißer, aber langweilig wird er auch nie. Er bietet kein Actioninferno, aber liefert genug Schauwerte, um den Genrefreund bei der Stange zu halten. Und er schafft es immerhin den Antihelden Reacher näher an die Romanfigur anzulehnen, zeichnet ihn düsterer und kantiger. Viele wiederkehrende Motive der Romane wie schäbige Motels, einsame Landstraßen und Reachers Tramp-Verhalten finden verstärkt Einzug. Kurz: „Never go back" ist insgesamt weniger gefällig als der Erstling. Angesichts des geringeren Erfolgs vielleicht nicht unbedingt massenpublikumswirksam, dennoch ein konsequenter und mutiger Schritt. Ein dritter Teil sollte daher schnell kommen - wenn auch möglichst nach einer besseren Romanvorlage -, nicht nur weil ein 60-jähriger Hauptdarsteller zu der Figur nicht passen würde, sondern weil der wahre Jack Reacher nun etabliert wurde. Da gibt es keinen Weg zurück, schon gar nicht für einen Typen wie Reacher.