Review

„Olympischer Spießrutenlauf"

„Zeit für Legenden" klingt nach einer schwülstigen Heldeneloge und tut dem Film damit absolut keinen Gefallen. Die Eindeutschung englischer Filmtitel hat eine lange Tradition, die selten Fruchtbares hervorbrachte. Beim vorliegenden Beispiel treibt dieses Unart besonders ärgerliche Blüten, denn das Biopic um den afroamerikanischen Ausnahmeleichtathleten Jesse Owens, der im Nazi-regierten Berlin von 1936 vier olympische Goldmedaillen errang, hat einen ungemein treffend zweideutigen Originaltitel: „Race".  

Die Geschichte von Owens ist auch deshalb so interessant, weil seine famosen Sprintrennen immer auch unter rassistisch aufgeladenen Rahmenbedingungen stattfanden - und zwar nicht nur im olympischen Nazi-Deutschland der 1930er Jahre, sondern eben vor allem auch in den heimischen USA. Der Film drückt sich keineswegs vor diesem widersprüchlichen Spannungsfeld und hat hier einige seiner stärksten Momente. Da wird im amerikanischen Leichtathletikverband heftigst darüber gestritten, ob man seine Athleten unter der Veranstalterflagge eines Unrechtsregimes starten lassen soll und gleichzeitig wird Owens aufgrund seiner Hautfarbe regelmäßig von weißen Vereins- und Studienkollegen schikaniert und gemobbt. Mit anderen Worten: eine rassistisch geprägte Gesellschaft will bei Olympia ein Zeichen gegen Rassismus setzen.

„Race" legt also durchaus den (nicht erhobenen Zeige-)Finger in die schmerzende Wunde unbequemer Wahrheiten, was zwei Szenen belegen, die man auch hätte unter den Tisch fallen lassen können. So durften farbige Athleten während der Spiele in denselben Hotels und Zimmern wohnen wie ihre weißen Kollegen und auch gemeinsam zu den verschiedenen Sportstätten reisen, eine Selbstverständlichkeit, die ihnen in den USA noch bis in die späten 1950er Jahre verweigert wurde. Auch der faire Sportsgeist der deutschen Weitsprung-Goldhoffnung Lutz Long, der Owen durch eine Markierung half einen weiteren Fehlversuch zu vermeiden und ins Finale - bei dem Long dann dem überlegenen Amerikaner unterlag - zu kommen, hat es ebenso in den Film geschafft, wie die daraus entstehende Freundschaft der beiden. Schließlich zeigt „Race" auch die aus heutiger Sicht unglaubliche Szene nach Owens Rückkehr in die Staaten, als er bei einer zu seinen Ehren abgehaltenen Gala im New Yorker Waldorf Astoria den Dienstboteneingang benutzen musste.  

Parallel dazu erzählt Regisseur Stephen Hopkins Owens Lebensgeschichte in typisch episodenhafter und schlaglichtartiger Biographie-Manier. Da der Fokus klar auf der späteren Leichtathletik-Karriere mit dem Höhepunkt der Olympischen Spiele liegt, werden Owens harte Familienverhältnisse (das jüngste von 10 Kindern musste schon früh allerlei Jobs annehmen), sein steiniger Weg in die von weißen dominierten Sportteams sowie seine nicht ganz konfliktfreie Ehe sehr knapp abgehandelt.
Deutlich mehr Raum bekommt die enge Beziehung zu seinem Förderer und Mentor Larry Snyder, seines Zeichens Leichtathletik-Coach an der Ohio State University. Der frühere Spitzensportler erkennt Owens Ausnahmetalent und verfeinert seine Technik, ist ihm aber auch immer wieder Ratgeber und Freund in schwierigen Zeiten. Der Komiker Jason Sudeikis spielt Snyder als ehrgeizige, aber grundehrliche und aufrichtige Vaterfigur. Zusammen mit dem ebenfalls äußerst wirkenden Stephan James bildet er das emotionale Zentrum des Films, dem es aufgrund seiner Vielzahl an Einzelepisoden ein wenig an einer dramatischen oder gar epischen Klammer fehlt.

Trotz der konventionellen Dramaturgie und stromlinienförmigen Inszenierung weiß „Race" immer wieder zu packen. Die differenziert herausgearbeitete Rassenthematik ist nur eine dieser Stärken, auch der Völker- und Standesgrenzen überwindende Gedanke des Sports ist wiederholt spürbar. Man bekommt ein Gefühl für das Besondere des Wettkampfaspekts aus Sicht des einzelnen Athleten, wird aber auch mit den bis heute aktuellen politischen Machenschaften im Dunstkreis von sportlichen Großereignissen konfrontiert.

Sicher hätte man einige Ansätze gern breiter angelegt gesehen. Insbesondere die dubiose Rolle von Hitles Hof-Regisseurin Leni Riefenstahl (Clarice van Houten), die einerseits einen Propagandafilm über die Überlegenheit der arischen Rasse drehen sollte, mit „Olympia" aber eben auch Jesse Owens ein eindrucksvolles Denkmal setzte, wird leider nur angedeutet. Ähnlich verhält es sich mit dem späteren IOC-Präsidenten Avery Brundage (Jeremy Irons). Der Sportfunktionär war wesentlich dafür verantwortlich einen amerikanischen Boycott der Spiele von Berlin zu verhindern und das nicht zuletzt aus karrieristischen Motiven. Vor allem seine Zusammenarbeit mit Nazigrößen wie Joseph Goebbels (Barnaby Metschurat) kommt dabei ein wenig zu kurz.

Im Endeffekt wird damit aber auch deutlich, wie facettenreich und komplex die Rahmenbedingungen für Jesse Owens sportliche Jahrhundertleistung waren. Ein Spielfilm kann dem kaum in Gänze gerecht werden, da bräuchte es schon eine TV-Serie. Zumindest einen kompakten wie kompetenten Einblick in eine Vielzahl der angesprochenen Aspekte gewährt „Race" dennoch, also sollte man sich - diesmal ganz im Sinne des deutschen Titels - ruhig Zeit für diese ganz spezielle Legende nehmen.         
  

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