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„Das historische Attentat als Nervenkitzel - Schwerstarbeit für die Regie"

Filme über Attentate auf historische Personen sind immer eine Herausforderung. Sind die Fakten bekannt, bleibt kaum Spielraum für eigene Sichtweisen oder gar Interpretationen. Die Gefahr einer braven Nacherzählung ist also evident. Dazu kommt ein gehöriges dramaturgisches Dilemma, mindert doch der bekannte Ausgang in nicht unerheblichem Maß die für den Thriller so essentielle Spannung. An einem der berühmtesten Attentate der Weltgeschichte, lassen sich diese Probleme sehr schön nachvollziehen. Es sollte ein halbes dutzend Versuche und über 60 Jahre dauern, bis der Anschlag auf Hitler vom 20. Juli 1944 eine geschichtlich (weitgehend) akkurate Umsetzung erfuhr, die gleichzeitig auch zu fesseln wusste. „Valkyrie" („Operation Walküre") zeigte, worauf es ankam. Konzentriere dich auf die Probleme der Planung und Vorbereitung, sorge für Empathie und inszeniere das Attentat als deutlichen Spannungshöhepunkt.

Ob der britische Independentfilmer Sean Ellis diesen simplen Dreisatz im Kopf hatte, ist reine Spekulation, sieht man „Operation Anthropoid", liegt die Vermutung jedenfalls nahe. Aufbau und Dramaturgie ähneln in auffälliger Weise Bryan Singers Stauffenberg-Film und auch das historische Setting ist dasselbe. Das Attentat vom 27. Mai 1942 auf den Leiter des Reichssicherheitshauptamts, SS-Obergruppenführer Reinhard Heydrich, in Prag ist zwar nicht so bekannt wie jenes vom 20. Juli 1944, hier wie dort geht es aber um einen Anschlag auf einen hochrangigen Nazi, der nicht nur unter ständiger Lebensgefahr vorbereitet wurde, sondern  auch einen mit grausamster Härte geführten Gegenschlag des Nazi-Regimes nach sich zog. Und das keineswegs „nur" gegen die Hauptverschwörer.

Parallelen gibt es auch beim Casting. Die zentralen Figuren wurden mit bekannten amerikanischen oder englischen Darstellern besetzt. Obwohl es sich bei den Sprechrollen in „Anthropoid" ausnahmslos um Tschechen handelt, durften entsprechende Muttersprachler lediglich für Nebenfiguren ran. In „Valkyrie" verhielt es sich exakt deckungsgleich, nur eben mit deutschem Personal.
Aufgrund des deutlich geringeren Budgets waren Superstars wie Tom Cruise zwar nicht mit an Bord, aber mit den beiden Briten Jamie Dornan („Fifty Shades of Grey") und Cillian Murphy (Dauergast bei Christopher Nolan) dennoch zwei international bekannte und im Falle von Murphy auch gestandene Mimen.

Also alles richtig gemacht, möchte man meinen. Sujet praktisch gleich, Setting sowieso und dazu wesentliche Zutaten übernommen. Dass „Anthropoid" dennoch einigermaßen deutlich hinter „Valkyrie" zurück bleibt, ist demnach schon eine mittelgroße Überraschung und mal wieder ein schlagender Beweis, wie eminent wichtig Inszenierung, Skript und vor allem die Wechselbeziehung zwischen beiden für das Gelingen eines Films sind.   
Nach starkem Beginn, mit der Landung der beiden tschechischen Fallschirmjäger Josef Gabcik (Murphy) und Jan Kubis (Dornan) hinter feindlichen Linien, kommt die Dramaturgie für über eine Stunde nicht mehr in die Gänge. Dabei liest sich der weitere Verlauf überaus spannend: Nachdem sie in Prag Kontakt mit dem tschechischen Widerstand aufgenommen haben, stoßen Josef und Jan mit ihren Attentatsplänen keineswegs auf einhellige Begeisterung. Schnell bilden sich zwei Lager, was die bedrohliche Lage zusätzlich verschärft. Zwar finden sie bei einer sympathisierenden Familie Unterschlupf, dennoch ist die Gefahr vor Entdeckung und Enttarnung allgegenwärtig. Viel Zeit bleibt den beiden also nicht für konkrete Planungen und Vorbereitungen, zumal ihr Zielobjekt Reinhard Heydrich völlig überraschend in Kürze nach Paris versetzt werden soll ...
 
Rein stofflich ist ein solches Szenario eigentlich ein Garant für nervenaufreibendes Thriller-Kino. Nur gelingt es Ellis kaum, diese von Paranoia, Gehetztsein und Angst geprägte Stimmung auf den Zuschauer zu übertragen. Zwar reden alle ständig von der tödlichen Bedrohung, allein spürbar gemacht wird sie nicht. Schließlich bekommen beide Attentäter auch noch die obligatorische Liebesgeschichte verpasst, die wohl Empathie erzeugen sollte, aber letztendlich nur das Tempo verschleppt. Das ist weder packend, noch bedrückend, im Gegenteil, es stellt sich eher sogar Langeweile ein und die Hoffnung, irgend etwas Unvorhergesehenes möge passieren. Ellis macht hier zwei ganz entscheidende Fehler. Erstens sind die deutschen Besatzer lediglich im Hintergrund zu sehen und greifen nie aktiv ins Geschehen ein. Zweitens verliert er sich zunehmend in fruchtlosen Diskussionen über die adäquate Vorgehensweise beim geplanten Attentat, das er dann auch noch dermaßen antiklimatisch und kurz inszeniert, dass die Spannungskurve vollends abfällt.
 
Das ist umso ärgerlicher, da mit dem deutschen Multitalent Detlef Bothe ein ausdrucksstarker Darsteller zur Verfügung stand, der noch dazu seinem historischen Vorbild Heydrich verblüffend ähnlich sieht. Heydrich war, im Unterschied zu Hitler, ein vergleichsweise schillernder Charakter, der als näher beleuchteter Antagonist sicherlich sehr interessant gewesen wäre. Hitler ist als Inkarnation des Bösen deutlich bekannter und taugt daher weit besser zur bloßen Chiffre wie im Stauffenberg-Film Singers. Heydrich war sicherlich in Punkto Diabolik, Gefühlskälte und Grausamkeit durchaus ebenbürtig, nur wird das in „Anthropoid" lediglich in ein paar Bemerkungen erwähnt. Seine Taten wie auch sein Charakter bleiben weitestgehend im Dunklen, was den historisch falschen Eindruck erweckt, hier handle es sich bloß um einen weiteren, wenn auch wichtigen, bösen Nazi im Hintergrund.

So ist es am letzten Filmdrittel, die dramaturgischen Kastanien aus dem Feuer(chen) zu holen. Und hier zeigt Sean Ellis endlich, dass er durchaus zu inszenieren weiß indem er den dramatischen Gehalt der historischen Ereignisse filmisch entsprechend ausschöpft. Als Heydrich drei Tage nach dem Attentat seinen Verletzungen erliegt, zieht sich der Ring um die noch in Prag befindlichen Verschwörer immer enger. Folter, Verrat und eine mehrstündige Belagerung der als Versteck dienenden Kathedrale folgen. Zu guter letzt kommt es also doch noch zu Drama, Pathos und großen Gesten. Im Vergleich zum zu verhaltenen Rest des Films, ist das dann aber fast schon wieder zu viel.

Schade um die Akkuratesse, mit der Ellis das Prag von 1942 - bis ins Detail von Inneneinrichtungen und einer vollständigen Nachbildung der Karl-Borromäus-Kirche - wieder auferstehen lässt. Aber historische Authentizität ist eben nicht alles und keineswegs eine Garantie, ein Gefühl für die dargestellte Zeit zu vermitteln bzw. zu entwickeln. „Valkyrie" nahm sich da mehr, insbesondere faktische, Freiheiten heraus und war dennoch viel näher an seinen Protagonisten und ihrer Situation. Es bleibt also dabei. Gute Filme über Attentate mit realem Hintergrund sind offenbar eine Herausforderung, vor allem für den Regisseur. Der Grad zwischen Faktentreue, authentischem Zeitkolorit, dramatischer Zuspitzung und Empathieerzeugung ist ein sehr schmaler, für Sean Ellis und „Operation Anthropoid" war er ein ums andere Mal zu schmal.

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