Vergleicht man die Anzahl der Western der Jahre 1963 und 1965 aus italienischer Produktion, dann erkennt man einen signifikanten Anstieg - eine Entwicklung, die sich in den folgenden Jahren nicht nur fortsetzte, sondern noch erheblich steigerte bis sie Ende der 60er Jahre wieder abebbte. Der überraschende Erfolg von „Per un pugno di Dollari“ (Für eine Handvoll Dollar), den Sergio Leone 1964 in die Kinos brachte, gilt dafür als entscheidend - eine Produktion, die von einer Gruppe von Berufsanfängern und unbekannten Darstellern unter einfachen Bedingungen mit begrenztem Budget in Spanien gedreht wurde. Auch die Tatsache, dass deutsche Produktionsgelder an dem Vorhaben beteiligt waren, lässt erkennen, dass sich der europäische Western damals noch als Genre-Nische verstand.
In Deutschland hatte man den Western auf sehr eigene Art schon wenige Jahre zuvor wieder entdeckt, dank der erfolgreichen Verfilmungen der Karl May Romane ("Der Schatz im Silbersee", 1962), aber bei diesen handelte es sich eher um familientaugliche Unterhaltungsfilme. Mit "Der letzte Ritt nach Santa Cruz" (1964) versuchte man sich auch in Deutschland am staubigen, kompromisslosen Western, woran ersichtlich wird, dass die europäische Antwort auf die us-amerikanischen Western generell in der Luft lag. Auch sonst gab es eine übergreifende Zusammenarbeit innerhalb der Szene. Marianne Koch und Sieghardt Rupp übernahmen Rollen sowohl bei Leone, als auch beim deutschen Genre-Beitrag, Rupp zudem noch in der Karl May-Verfilmung "Unter Geiern" (1964). Wolfgang Lukschy, hier als Boss der amerikanischen Familie Baxter besetzt, wirkte später auch bei Karl May-Filmen mit, während Leone wiederum Klaus Kinski für "Per qualche Dollaro in più" (Für ein paar Dollar mehr, 1965) engagierte, der zuvor in "Winnetou 2" (1964) und "Der letzte Ritt nach Santa Cruz" einen Bösewicht gemimt hatte.
Auch der spätere "Django" - Regisseur Sergio Corbucci drehte 1964 mit "Minnesota Clay" einen Western, an dem mit dem Spanier Fernando Sancho schon früh ein späterer Dauergast des Genres mitwirkte, aber wie in "Der letzte Ritt nach Santa Cruz" blieb die Nähe zum amerikanischen Vorbild noch deutlich spürbar. Das wird an Mario Adorfs und Klaus Kinskis Rollen ersichtlich, die ihre Kompromisslosigkeit einen Moment lang andeuten durften, bevor sie von der Moralkeule wieder zurück gepfiffen wurden. Vergleicht man Filme wie "Der letzte Ritt nach Santa Cruz" mit "Per un pugno di Dollari", die damals unter ähnlichen Bedingungen entstanden, lassen sich eine Vielzahl von Gründen finden, warum es Leones Film war, der stilbildend für den europäischen Western wurde. Auch die übliche Verpflichtung eines US-Amerikaners für die Hauptrolle, die ein wenig Authentizität in die Besetzung bringen sollte, ging klar zugunsten Leones Films aus. Das es für Clint Eastwood der Beginn einer Weltkarriere wurde, war nicht zuletzt dessen Inszenierung zu verdanken.
Kurosawas “Yojimbo“ hatte Sergio Leone als Basis für sein Drehbuch gewählt, welches neben dem klar strukturierten Konflikt den Vorteil hatte, dass die Handlung an einem begrenzten Ort stattfand. Der Regisseur, der zuvor nur „Il colosso di Rodi“ (Der Koloss von Rhodos (1959)) eigenverantwortlich gedreht hatte, wurde später berühmt für seine großartigen Landschaftspanoramen, aber dafür stand in „Per un pugno di Dollari“ schlicht kein Geld zur Verfügung, weshalb der eingeschränkte Sichtkreis der Handlung – neben dem mexikanischen Dorf gibt es nur wenige außerhalb liegende Schauplätze – dem Budget entgegen kam. Auch die Gestaltung des von Clint Eastwood gespielten Protagonisten beschränkt sich auf wenige äußerliche Aspekte. Weder hat er eine Vergangenheit, noch einen Namen, und seine Motivation scheint alleine den Dollars zu gelten. Diese Reduzierung auf das Wesentliche, erlaubte es dem Regisseur, sich ganz auf die psychologischen Details im Zusammenspiel aller Beteiligten zu konzentrieren.
Der Fremde ohne Namen (Clint Eastwood) trifft auf eine klassische Patt-Situation in dem staubigen kleinen Ort. Der mexikanische Clan der Rojos steht dem US-Sheriff Baxter (Wolfgang Lukschy) und seiner Truppe in einem ausgewogenen Kräfteverhältnis gegenüber, während alle sonstigen Bürger keine Rechte zu besitzen scheinen. Der Fremde begreift diese Situation schnell und beginnt das sensible Gefüge durcheinander zu bringen, indem er jeder Seite einen scheinbaren Vorteil verschafft, was die Gegenseite zur sofortigen Reaktion zwingt. In der Figur des Ramón Rojo (Gian Maria Volonté) verfügt Leones Film zudem über das notwendige Gegengewicht, um es dem Fremden nicht zu leicht zu machen. Volonté, ebenfalls noch am Beginn seiner Karriere, spielt den Gefährlichsten der drei Rojo-Brüder keinesfalls als typischen, sadistischen Bösewicht, wie er im ersten Moment erscheint, als er den militärischen Begleitzug eines Geldtransports mit einem Maschinengewehr gnadenlos niedermäht, sondern auch mit kontrollierter Intelligenz. Als der Fremde einen Moment seine Gleichgültigkeit gegenüber dem Schicksal der Bewohner der kleinen Stadt verliert, liefert er sich damit Ramón aus.
Rivalisierende Gangsterbanden hatte es auch in US-Western schon zur Genüge gegeben, ebenso wie geschickte Revolverhelden. Doch ihre Handlungen basierten auf nachvollziehbaren Emotionen, während „Per un pugno di Dollari“ streng genommen nicht einmal eine Geschichte erzählt. Wie die Konstellation in dem kleinen Ort entstanden ist, erfährt man genauso wenig, wie etwaige Ziele für die Zukunft, außer dem Wunsch aller Beteiligten, immer mehr Dollars anzusammeln – die einzige Intention, die der Film gelten lässt. Erst diese Reduktion auf den reinen Materialismus, verbunden mit Machtgier und Selbstüberschätzung, erzeugte den nihilistischen Eindruck, der für das Italo-Western-Genre in seinen besten Momenten stilbildend wurde. Lange Zeit gilt dieser Eindruck auch für den Fremden ohne Namen, der sich durch seinen freundlichen Umgang mit dem Saloon-Besitzer und dem Totengräber allerdings von Beginn an positiv von den Mitgliedern der beiden Gangs abhebt. Die einzige echte Emotion im gesamten Film – die Liebe der Mexikanerin Marisol (Marianne Koch) zu ihrem kleinen Sohn – lässt deutlich werden, dass der Fremde noch über moralische Standards verfügt.
Der wesentliche Unterschied zum klassischen Western liegt in der Reduzierung der menschlichen Psyche auf ihre niedrigsten Instinkte. Anteilnahme, Mitleid oder Liebe führen nicht, wie beim US-Western üblich, zu heldenhaften Taten, sondern sind Zeichen von Schwäche. Doch anders als Sergio Corbucci in „Il grande silenzio“ (Leichen pflastern seinen Weg, 1968), der auch unter dem Eindruck des Vietnam-Krieges entstand, vermittelte Sergio Leone noch ein wenig Hoffnung und erfand die von Clint Eastwood kongenial verkörperte Figur des „Mannes ohne Namen“. Dank seiner überragenden Fähigkeiten mit dem Revolver, ist er in der Lage, sich noch ein Minimum an Emotionen zu bewahren. „Per un pugno di Dollari“ beschränkte sich auf wenige, eindrucksvoll inszenierte Schusswechsel, wurde aber vor allem wegen seiner äußerlichen Merkmale zum Vorbild des bald beginnenden Italo-Western-Booms. Die Musik Ennio Morricones, einem Schulfreund Leones, dessen Karriere hier ihren Ursprung nahm, stand ebenso Pate für die zukünftigen Filme wie die raue Landschaft, die schäbigen Städte und lange Schießereien - nur die innere psychologische Schlüssigkeit im Handeln der Protagonisten gelang nur noch wenigen Nachfolgern.
Leone verwendete in „Per un pugno di Dollari“ zwar bekannte Western-Charakteristika, aber mit seiner konsequent reduzierten Umsetzung betrat er filmisches Neuland. Das war auch ihm selbst klar, denn in seinen kommenden Western "Per qualche Dollaro in più" und „Il buono, il brutto, il cattivo“ (Zwei glorreiche Halunken, 1966) variierte er die Thematik nur noch und nutzte die deutlich höheren Produktionskosten für einen breiter angelegten Handlungsraum und die weitere Stilisierung seiner Filmsprache, was seinen Einfluss auf das Genre noch verstärkte. Nach dem Abschluss der „Dollar-Trilogie“ und damit der Ausreizung der Thematik, war für ihn folgerichtig Schluss mit dem Western. Zu „C’era una volta il West“ (Spiel mir das Lied vom Tod, 1968) wurde er von seinen Geldgebern noch einmal überredet, aber der Film verfügt über ein gänzlich anderes Konzept. Dagegen wirkt „Per un pugno di Dollari“ in seiner Gestaltung fast grob und unfertig, weshalb Leones spätere Western heute beliebter sind, aber das ändert nichts daran, dass auch sie hier ihren Anfang nahmen (8,5/10).