Als er 2001 die Bühne des Shrine Civic Auditorium in Los Angeles betrat und seinen soeben gewonnen Oscar in der Kategorie Bester Kurzfilm entgegen nahm, bedankte sich Florian Gallenberger bei den Mitarbeitern an seinen Film, der Filmhochschule und Filmförderungsanstalt, auf dass sie ihn weiter finanzieren mögen, und Mexiko, dass es so ein seltsames, schwer verständliches und magisches Land sei. Dann verließ er die Bühne wieder. Ganz bescheiden eben. 2009 scheint er nun als Regisseur in Deutschland endlich diese Auszeichnung als Sprungbrett zu einer großen Karriere nutzen zu können: Mit John Rabe steht ein ambitionierter Film um die Heldentaten des „Oskar Schindler Chinas" an, der 1937 über 500 Chinesen vor den japanischen Truppen schützte. Zum Cast gehören u. a. Daniel Brühl und Steve Buscemi.
Gallenberger schienen schon immer interkulturelle Themen zu beschäftigen, sei es nun das Verhältnis von Japan und China vor Ausbruch des zweiten Weltkriegs, Menschenhandel in Indien (sein erster Langspielfilm Schatten der Zeit, 2004) oder das Schicksal zweier mexikanischer Straßenkinder wie in Quiero Ser - Gestohlene Träume, wofür er nun 2001 die Stufen auf die Bühne des Shrine Civic Auditorium emporsteigen und von Ben Stiller einen Goldjungen entgegen nehmen musste. Doch trotz aller Bescheidenheit, die in seiner Dankesrede zum Ausdruck kam, kann man Regisseur und Drehbuchautor Gallenberger nur attestieren, dass er mit Quiero Ser ein kleines Meisterwerk geschaffen hat.
Er erzählt die Geschichte der zwei armen Straßenkinder Juan (Emilio Perez) und Jorge (Fernando Pena Cuevas), die sich in einer mexikanischen Großstadt mehr schlecht als recht mit Betteln und musikalischen Einlagen auf der Straße durchschlagen. Beide träumen davon, 100 Pesos zu sparen und sich als Luftballon-Verkäufer selbstständig zu machen. Doch während der kindliche Juan rigoros spart, gerät der jugendliche Jorge in Versuchung, Einiges aus der gemeinsamen Geldkasse zu nehmen, damit er einer hübschen Eisverkäuferin näher kommen kann, in die er sich verguckt hat. Als Juan das mitbekommt, kennt er kein Pardon: Er packt seine Sachen und verschwindet. Jahre später treffen sich die beiden wieder: Juan als Gast eines noblen Restaurants, Jorge immer noch ein Bettler...
„Quiero ser" heißt auf Deutsch „Ich will sein" - und um die Verwirklichung eines Traums und die Einschränkungen, die man dafür hinnehmen muss, handelt dieser Film. Den Traum, mit einem seriösen Gewerbe endlich von der Straße weg zu kommen, aus der Armut auszubrechen und sich endlich einmal in einem noblen Restaurant bedienen zu lassen, haben die beiden Brüder. Doch einzig Juan ist bereit, dafür ohne Kompromisse zu kämpfen. Gallenberger gelingt das Kunststück, seinen stets authentisch wirkenden 35-Minüter, dessen Figuren tatsächlich aus dem mexikanischen Alltag entsprungen scheinen, zwar melancholisch, aber nicht larmoyant zu erzählen. Er fängt das „Tagesgeschäft" der beiden Brüder bar jeglichen Sozialkitsches oder Armutsromantik, wohl aber mit leisem Humor ein, was den lebensechten Eindruck seines fast schon dokumentarisch anmutenden Films weiter verstärkt. Armut war nach der Wirtschaftskrise 1994/95 in Mexiko lange Zeit ein starkes Problem und genau mit diesem Problem setzt man sich hier realistisch auseinander.
Wo die Eltern von Juan und Jorge abgeblieben sind, erfährt man nicht. Man erhält nur einen ein paar Tage andauernden Einblick in den von Gegensätzen und Kontrasten geprägten mexikanischen Alltag sowie ihr entbehrungsreiches Leben, welches gekennzeichnet ist vom Sammeln kleiner Zigarettenstummel, essen von Weggeworfenem, Schnurren oder dem Übernachten in einer alten Garage. Man darf kein Geld verschwenden oder anderweitig von seinem Ziel abweichen, wenn man es erreichen, man finanziellen Erfolg haben möchte. Das mag zwar eine alte und irgendwie auch ziemlich amerikanische Botschaft in Form der Legende „vom Tellerwäscher zum Millionär" sein, doch selten wurde sie so nachdenklich, ungeschönt, melancholisch und lebensnah präsentiert wie hier. Und wenn man am Ende zu diesem wiederkehrenden tristen Musikthema die beiden Brüder, den einen in abgetragener Kleidung davonschlurfend, den anderen in der schicken Limousine davonbrausend von dannen ziehen sieht, während nebenher ein Strauß an Luftballons immer weiter emporschwebt, offenbart Quiero Ser - Gestohlene Träume beinahe schon selbst eine subtile Art magischer Poesie (9/10).