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Man muss schon wissen, was man tut, wenn man sich den neuen Wes Anderson antut. Der amerikanische Regisseur, der nicht ganz zu Unrecht als Schrecken des filmischen Mainstreams verschrien ist, spaltet die Gemüter. Seine visuell detailverliebten Werke oszillieren meist zwischen latentem Schwermut und offener Lebensfreude und nehmen dabei gelegentlich den für viele beschwerlichen Umweg über das Traumhafte. Selbst geduldige und aufgeschlossene Geister verziehen dem jung gebliebenen Mann auf dem Regiestuhl lange nicht den intellektuell triefäugigen Filmsalat, den er mit den ennuyanten „Royal Tenenbaums" (2001) anrichtete. Doch nach „Moonrise Kingdom" (2012) waren die Weichen neu gestellt und spätestens jetzt, mit dem Oscar bedachten „Grand Budapest Hotel", dürfen alte Feindschaften begraben und womöglich neue Perspektiven mit einem gemeinsamen Fluchtpunkt gefunden werden.

Es beginnt wie ein Roman aus der Feder Thomas Manns. Ein Mädchen betritt einen Friedhof und nähert sich dem Denkmal eines Schriftstellers. In ihrer Hand hält sie die Memoiren einer Person namens „Der Autor". Sie fängt an in dem Büchlein zu lesen und der zum Leben erwachende Schriftsteller (Jude Law) beginnt, uns seine Geschichte im Stile Melvilles „Mobby Dick" oder Fitzgeralds „The Great Gatsby" aus der Ich-Erzählsituation heraus zu erzählen. Dabei gibt er seinerseits nur das zu Protokoll, was ihm von einem älteren Herrn (F. Murray Abraham) einst in einem unansehnlichen osteuropäischen Hotel zugetragen wurde. Nämlich, die illustre Geschichte der längst vergangenen goldenen Tage des von den beiden bezogenen Etablissements und damit auch die seines legendären ersten Concierge, Monsieur Gustave (Ralph Fiennes).

Behutsam werden wir an die Hand genommen und durch die fünf Akte des märchenhaften Dramas geführt, das im Wesentlichen zum Inhalt hat, uns die Figur des Monsieur Gustave ans Herz zu legen. Der wird nämlich bald von einer skrupellosen Familienclique des Mordes an einer älteren Dame (Tilda Swinton) bezichtigt und muss zusammen mit dem Lobby Boy Zero (Tony Revolori) fliehen. Ihr irrlichternder Weg führt sie durch die Weiten Osteuropas, durch Gefängnisse und über Berggipfel, bis es ihnen schließlich gelingt, die Unschuld des Concierge zu beweisen. Dabei streift ihre abenteuerliche Fahrt durch die Fantasiewelt der hier parallelkonstruierten Dreißigerjahre des letzten Jahrhunderts bisweilen die Grenze zum Surrealen. Sie ist bunt, sympathisch, überkandidelt und ein kleines bisschen irre. Also ganz so, wie man heute gemeinhin Kunst etikettiert.

Was für ein Mann ist dieser Monsieur Gustave? Was ist so erzählenswert an einem Hausverwalter, der sein Leben und Wirken ganz in den Dienst eines von ihm geliebten Hotels stellt? Ralph Fiennes liefert die Antwort auf diese Frage, indem er ein sensibles Porträt seiner ihm überantworteten Figur anfertigt. Dabei zeichnet er einen konturierten Charakter, der uns dazu bewegt, Zugang finden zu wollen. Aus reiner Empathie. Aus Mitgefühl für eine Persönlichkeit, die nur das Beste will und doch nicht fehlerlos ist. Die den Fährnissen ihrer Zeit trotzt und als Relikt der Vergangenheit, sozusagen als lebendiger Anachronismus, gegen jene profanen Strömungen ankämpft, die sich anschicken, die Würde ihrer kleinen Welt zu beflecken.

Es sind weniger die Tugenden als die Schwächen der Hauptfigur, die es uns letztendlich möglich machen, mit diesem wunderlichen Menschen in Einklang zu kommen. Ob er sich im Eifer einen kurzen Moment vergisst und den fremdländisch aussehenden Zero aufgrund seiner Herkunft maßregelt, ob er mit dessen Freundin flirtet oder ob er es hinnimmt, dass seine Mithäftlinge beim Ausbruch unschuldiges Wachpersonal sowie den Fahrer des Fluchtfahrzeugs töten, man verzeiht Monsieur Gustave die Schrullen und entschuldigt seine Bredouille. Er ist kein Engel, sondern Mensch. Aber einer, der im Rahmen des ihm Möglichen handelt, der im Lichte seiner begrenzten Fähigkeiten nach Höherem strebt. Und genau das ist unser Dilemma. Wir nämlich sind die Adressaten der Botschaft dieser eigenartigen Person, nicht die Widrigkeiten des Alltags als Ausrede dafür zu benutzen, untätig zu bleiben.

Unterstützung erhält Ralph Fiennes durch eine Riege hervorragender Darsteller (u.a. Harvey Keitel, Bill Murray, Willem Dafoe, Tilda Swinton, Jeff Goldblum, Edward Norton), die wussten, worum es bei diesem Projekt ging und die es mit ihrem traumhaften Spiel fertigbrachten, Kritiker und Zuschauer zu begeistern. Es ist nicht zuletzt dieses Stelldichein gern gesehener Gesichter, das dem liebenswerten Treiben die Krone aufsetzt.

„Grand Budapest Hotel" ist dennoch kein Film für die ganze Familie. Wes Anderson legt großen Wert auf den Kunstfilmcharakter seines mitunter sperrigen Werks. Und ganz im Stile seiner Inspiration, den Schriften Stefan Zweigs, bietet die eigentlich beschwingte Federführung der Geschichte noch genügend Gelegenheit für melancholisches Innehalten. Für einen kurzen Moment des Schwermuts. Denn der wahre Verlauf des Zwanzigsten Jahrhunderts lugt und lauert bedrohlich an allen Ecken und Enden dieses Märchens, jederzeit bereit, die schaurige Erwartungshaltung des vorgebildeten Zuschauers zu bedienen. Es ist der hier umbenannte Zweite Weltkrieg, der sich im fiktiven Land Zubrowka ankündigt und der die Welt des Alten Europa in seinem Wahn für immer beseitigen wird. Und so wie Stefan Zweig im echten Leben an dieser schlimmen neuen Wirklichkeit zerbrach, wird auch der uns ans Herz gewachsene Monsieur Gustave an ihr Schaden nehmen.

Am Ende der Erzählung finden wir, wie das üblich ist, unseren Weg zurück zu dem in Stein gehauenen Autor und seiner Bewunderin und verabschieden uns vom einst leuchtenden, nunmehr in tristem Grau verhangenen Gebäude, das im tiefsten Sozialismus darauf wartet, eines Tages zu erwachen und in altem Glanz zu erstrahlen. Denn die Hoffnung stirbt zuletzt. In diesem Film jedoch, und das macht einen wesentlichen Teil seines Reizes aus, verlässt sie uns nie.

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