Necronomicon – Getäeumte Sunden / Succubus
Es war im Frühjahr 1967, als sich der Filmemacher Jess Franco (geboren als Jesus Franco Manera), welcher zuvor in seiner Heimat schon an die 20 Filme gedreht hatte, zu einer Erweiterung seines Wirkungskreises entschloss. In dieser schon recht umfangreichen Filmographie finden sich Werke unterschiedlichster Coloeur, so z.B. der erste spanische Horrorfilm “Der unheimliche Dr. Orloff” (ein von Franco erschaffenes Frankenstein-Pendant, welches in bestimmt 10 seiner Filme wieder zum Einsatz kam), 2 Haudrauf-Komödien mit “Lemmy Caution” Eddie Constantine und auch schon anrüchig-sexuelle Ware wie “Miss Muerte”. Nach einigen Schlagerfilmen, in denen Franco auch als Schauspieler auftrat (als Pianist oder anderes musizierendes Volk), lernte er den deutschen Produzenten Percy G. Parker kennen.
Hinter diesem Pseudonym verbirgt sich niemand geringerer als der gute Bauerssohn Peter Hofkirchner, welcher unter seinem Künstlernamen Adrian Hoven schauspielernderweise schon so einiges geleistet hatte. So hatte er sich in vielen Schlagerkomödien umgetan und Francis Durbridges' “Tim Franzer” zweimalig Gesicht gegeben, ebenso wie er im atypischen Edgar Wallace “Das Raetsel der roten Orchidee” einen brauchbaren Inschpektor abgeliefert hatte. Doch schon mit seinem Regiedebut “Der Mörder mit dem Seidenschal” zeigte er, welche Pfade er sich erwählt hatte. In diesem für die Entstehungszeit reichlich rüden Kindesentführungskrimidrama, welches er ebenso behauptrollte wie produzierte, liess er durchblicken, das uns Adrian Hoven und Percy G Parker noch so einige Schoten bescheren würden.
Zurück zu Franco: Nachdem beide sich über ein Drehbuch verständigt hatten, dass Franco nach seinen Vorstellungen gestaltete, war ihnen klar, dass nur eine die Hauptrolle spielen konnte: die göttliche Janine Reynaud. Während Franco Reynaud zur Mitarbeit überredete, machte sich Hoven auf die Suche nach einem geldkräftigen Mitproduzenten, da er mit seiner Aquila-Film den gewünschten Etat niemals aufbringen konnte. Man kontaktierte Pier A. Cammineci, der bereits das Drehbuch von Franco ganz toll gefunden hatte. Als man genug Geld zusammengekratzt hatte, Cammineci nach Madrid einzuladen, war dessen Interesse an der ganzen Kiste allerdings schon verflogen. Doch als er Janine Reynaud sah, war er sofort Feuer und Flamme für das Unternehmen, was der inzwischen verpflichtete männliche Hauptdarsteller Jack Taylor nur allzugut verstehen konnte.
Im Sommer 1967 war Drehbeginn der Aussenaufnahmen in Lissabon. Diese baulich eindrucksvolle Stadt stellte nicht nur die sonnendurchfluteten Gärten und Höfe sondern auch das malerische Meeresschloss, welches den Wohnsitz der Graefin Reynaud markierte. Der Film hat zwar eine durchgehende Handlung, doch durch den krassen Wechsel der Schauplätze bekommt er eine fast episodische Form. Der Vorspann ist hinterlegt mit alten Fresken, die mittelalterliche Orgien zeigen. Nach der eingehenden Foltersequenz mit der Reynaud und ihren Mitstreitern (welche sich schliesslich als Theateraufführung ihres Freundes entpuppt), legt sie einen astreinen Striptease hin, um sich kurz darauf bei dem Psychater ihres Vetrauens, Adrian Hoven wiederzufinden. Als ihre Wahnvorstellungen zunehmen, folgt sie ihrem Freund Jack Taylor nach Berlin. Nach einigen weiteren Erlebnissen und Traumvorstellungen, inklusiven einer Art-Deko-LSD-Party das der Wald rauscht, driftet sie förmlich zwischen den sich verschiebenden Welten. Zu spät bemerkt sie, dass ihr Freund ihre Lage schamlos für die Befriedigung der eigenen Perversionen ausnutzt. Nachdem sie unter seinem Bannstrahl zwei Menschen getötet hat, soll sie selber dran glauben. Doch der Auftragskiller ihres Freundes erkennt in ihr “die Graefin” und kooperiert. Die letzte Rechnung zahlt man ja bekanntlich selbst und so hat Mr. Taylor selbige ohne den Wirt gemacht, was Janine (immer noch einen im Sinn) mit einer gekonnten Schlussabrechnung quittiert. Sie wird von ihrem Diener auf ihr Schloss gebracht, um sich “zu erholen”. D
er Film ist mit ganz grossem Stil inszeniert. Schon nach der Episode mit Howard Vernon als Grafen hat man im Grunde gewonnen. Während Vernon Kieselsteine vertilgt, entwickelt sich zwischen beiden ein Wortspiel, dass so herrlich abstrus ist und doch so viel Charme ausstrahlt, das einem gar freudig wird. Die gesamte Berlin-Episode gewinnt durch die tolle Fotographie und das sowieso geniale Ambiente der Stadt. Die Szenen der Art-Deko-LSD-Party wurden in Hoven's Villa in Grünwald gedreht und bestechen ebenfalls durch surreale Bilder und kleine masochistische Neckereien. Der Einsatz von so manchem Milchfilter erleichtert das Zaubern einer skurilen Atmosphäre noch zusätzlich. Die Kostüme sind allesamt ein Hingucker, gestaltet wurden sie vom späteren Modezar Karl Lagerfeld, dessen Gesellenstueck dies hier zu sein scheint.
Unterstütz wird der tolle Gesamteindruck durch die professionelle Synchronisation, für die kein geringerer verantwortlich zeichnet als “Captain Kirk” himself Gert Günther Hoffmann. Er versieht den Film mit genialen Monologen, die er als Sprecher des Jack Taylor in unnachahmlicher Weise rüberbringt. Auch die Reynaud-Besetzung mit Eva Maria Hagen macht schwer was her und verfertigt ihre Dialoge mit grossem Zauber, ebenso die Tatsache, dass sich Adrian Hoven selbst spricht und mit seiner Rezitation eines Gedichtes auf der Party einen weiteren Höhepunkt beisteuert.
Die entgültige Krönung ist aber ohne Zweifel die Musik. Schon während des Drehs schwebte Franco die Musik des Klaviervirtuosen Friedrich Gulda vor. Schliesslich wurde es die SABA-Platte “Music for 4 Soloists & Band”, eine unheimlich reizvolle Verquickung von klassischer Barockmusik und den Jazzpartien durch Gulda, die dem Film ein ganz besonderes Feeling gab. Zusätzlich verplichtet wurde der Bruder von Trompeterass Ack, Jerry van Rooyen; dieser lieferte sowohl einige Partyswinger der feinsten Art wie auch melancholische Cembalothemen für die Hängende-Gärten-in-Lissabon-Sequenz. Wer die Klangschöpfungen näher kennenlernen will, sei ausdrücklich auf den Crippled-Klassiker “Jerry van Rooyen – At 250 Miles per Hour” und auf das tolle 7-CD-Box-Set “Friedrich Gulda – Midlife Harvest” von Universal verwiesen.
Alles in allem schuf Franco hier einen seiner ganz besonderen Filme. Wie ihm Howard Vernon später berichtete, war Regiealtmeister Fritz Lang sehr angetan von der Inszenierungsweise Francos; auch das Publikum der Berlinale 1967 war mit diesem Wettbewerbsbeitrag durchaus einverstanden. Nur die Moskauer Prawda hatte für dieses “weitere Dokument der kapitalistischen Dekadenz” nicht das Geringste übrig. Doch einen gewissen morbiden Charme kann man diesem Werk selbst heute noch nicht absprechen. Franco zeigte durchaus Stil bei der Regie und Kameraführung und enthielt sich auch der Zoomüberbetonung seiner späteren Filme.
Schliessen wir mit den Worten des Dieners: “Sie sind am Ende ihrer Reise, Graefin. Sie brauchen Ruhe. Ich werde ihren Schlaf bewachen.”