Als Gillo Pontecorvo 1965 "La battaglia di Algeri" (Schlacht um Algier) drehte, lag der 03.07.1962, der Tag der algerischen Unabhängigkeit, gerade einmal drei Jahre zurück. Angesichts von mehr als 130 Jahren französischer Besatzungszeit (seit 1875 offiziell dem Staatsgebiet Frankreichs angehörend), dem ab dem 01.11.1954 bis zur Anerkennung der Selbstständigkeit Algeriens durch Charles de Gaulle am 18.03.1962 (und dem am folgenden Tag eintretenden Waffenstillstand) andauernden Algerienkrieg, sowie einem gescheiterten Putschversuch französischer Generäle im April 1962, dem noch ein Anschlag auf den französischen Staatspräsidenten folgen sollte (von Fred Zinneman in "The day of the jackal" (Der Schakal, 1972) verfilmt), ein verschwindend geringer Zeitraum.
Erst 1999 wurde der Begriff "Algerienkrieg" im offiziellen Sprachgebrauch Frankreichs zugelassen, woran deutlich wird, das Pontecorvo seinen Film zu einem Zeitpunkt an Originalschauplätzen in Algier drehte, als nur äußerlich die neuen Grenzen gezogen worden waren - ein innerer Abstand oder gar friedliche Koexistenz, angesichts hunderttausender Opfer auf algerischer Seite (algerische Quellen sprechen von mehr als einer Million Getöteten), waren noch unmöglich. In Frankreich galt Algerien damals als legaler Bestandteil des Landes, das schon seit Generationen von Bürgern des Mutterlandes besiedelt worden war. Während dieser Phase veränderte sich auch Algier, das inzwischen aus zwei gegensätzlichen Teilen bestand - der Kasbah, in dem die muslimische Bevölkerung in ihren traditionellen nordafrikanischen Gebäuden lebte, und einem neu entstandenen europäischen Stadtgebiet, das mit seinen Cafés und Restaurants an Paris erinnerte.
So gewachsen diese Situation einerseits schien, so anachronistisch für die Zeit nach dem zweiten Weltkrieg war eine Konstellation, deren Charakter noch vom Herrschaftsanspruch des 19.Jahrhunderts bestimmt war, als der Kolonialismus zum guten Ton europäischer Großmächte gehörte. Die algerische Bevölkerung hatte nie dieselben Bürgerrechte wie die französisch stämmigen Siedler erlangt, auch war es zu keiner adäquaten industriellen Entwicklung gekommen (1937 hatte es zuletzt eine große Hungersnot gegeben), was dem politischen Anspruch an eine Demokratie, wie Frankreich sie propagierte, widersprach. Diese Diskrepanz wird auch in Pontecorvos Film deutlich, etwa wenn sich Colonel Mathieu (Jean Martin), der die Maßnahmen gegen die Untergrundkämpfer der FLN in Algier leitet, gegen die Anschuldigungen, sie wären "Faschisten" oder "Nazis", mit den Worten wehrt, sie hätten im Widerstand während des 2.Weltkriegs gekämpft und einige von ihnen hätten die Inhaftierung in einem KZ überlebt. Auf die Frage eines Journalisten, was er von Jean-Paul Sartre hält, der sich gemeinsam mit vielen Intellektuellen in Frankreich vehement für die Sache der Algerier einsetzte, meint er nur, das er ihn mehr hasst als seine Feinde.
Eine Meinung, mit der er im damaligen Frankreich nicht allein stand, weshalb es nur folgerichtig war, das sich mit dem italienischen Dokumentarfilmer Gillo Pontecorvo - er hatte mit "Le grande strada azzura" (1957) und "Kapò" (1960) neben vielen Dokumentationen erst zwei Spielfilme gedreht - ein äußerlich Unbeteiligter einer Thematik annahm, die einem emotionalen Ritt auf einer Rasierklinge glich. Obwohl Pontecorvo keinen Hehl daraus machte, das er die Besetzung Algeriens grundsätzlich für falsch hielt, ganz abgesehen von den diktatorischen Methoden, diese aufrecht zu erhalten, erstaunt die Objektivität seines Films, der zudem auf dem Buch Saadi Yacefs basiert, selbst führendes Mitglied der Freiheitskämpfer der FLN, der gefangen genommen und später von De Gaulle begnadigt wurde. Abgesehen von Jean Martin, der wegen seiner klaren Haltung gegen die Besetzung Algeriens in Frankreich keine Rollen mehr erhielt, engagierte Pontecorvo ausschließlich Laiendarsteller und erzielte so einen sehr hohen Grad an Authentizität.
Entscheidend, vielleicht auch zwingend notwendig für die bis heute zeitlose Wirkung des Films, war aber, das Pontecorvo sich auf die Ereignisse in Algier zwischen 1954 und 1957 konzentrierte - von einer kurzen Sequenz am Ende des Films abgesehen - und die Thematik damit von der langen Vorgeschichte und den weiteren Ereignissen bis zum Waffenstillstand 1962 befreite, womit er viel ideologischen Ballast vermied. Unter der Titel gebenden „Schlacht um Algier“ wird die Phase zwischen Januar und Oktober 1957 angesehen, während der es zu einer offenen Auseinandersetzung zwischen der FLN und der französischen Armee kam. Pontecorvo schilderte exemplarisch und detailliert den Aufbau und die Kampfmethodik einer Widerstandsbewegung im Untergrund, sowie die Gegenmaßnahmen der sich als legitim verstehenden französischen Staatsmacht.
Dass diese dabei auch Folter einsetzte, macht der Film schon in seiner ersten Einstellung deutlich, als ein entsprechend zugerichteter Mann bereit ist, das letzte Versteck seiner Kameraden zu verraten. So direkt und unmissverständlich diese Szene ist, so deutlich wird daran Pontecorvos Stil, der keinen Moment über das Geschehene hinaus Emotionen schürt. Colonel Mathieu bleibt ruhig und sachlich, angesichts des aus seiner Sicht inzwischen vernünftig reagierenden Festgenommenen. Als einer der Soldaten eine leicht erniedrigende Bemerkung macht, wird dieser sofort von ihm zurechtgewiesen. Folter ist für Mathieu nur ein notwendiges Mittel zum Zweck, kein Ausdruck von Hass oder Sadismus, wie die Figur des Armee-Kommandanten insgesamt einen sehr beherrschten, professionellen Eindruck hinterlässt. Nicht erstaunlich, das Pontecorvos Darstellung seiner militärischen Vorgehensweise gegen einen zwar zahlenmäßig und von der Ausrüstung her weit unterlegenen, aber nur schwer zu stellenden Feind, bis heute für die militärische Ausbildung im Partisanenkrieg hinzugezogen wird.
Darin eine Verharmlosung oder gar positive Tendenzen zu erkennen, hieße die damalige Situation zu missdeuten. Im Gegenteil liegt die Stärke des Films darin, sich nicht auf den allgegenwärtigen Hass einzulassen, der nur die jeweilige Seite in ihrer Haltung bestätigt hätte, sondern die Strukturen eines erbarmungslosen, menschenverachtenden Kampfes offen zu legen. Diese klare Haltung beweist der Film auch in Momenten von Massenaufmärschen und versuchter Lynchjustiz, die Pontecorvo nicht leugnet, die er aber nie dazu nutzt, Emotionen beim Betrachter zu forcieren. Selbst die offensichtliche Zweiklassengesellschaft wird nur zu Beginn mit wenigen Pinselstrichen angedeutet, als dem Algerier Ali (Brahim Hadjadj) bei der Flucht vor der Polizei von einem französisch stämmigen jungen Mann ein Bein gestellt wird - und dieser dabei noch hochmütig lächelt. Auch mehr als ein Jahrhundert des Zusammenlebens konnte dank der Ungleichbehandlung keine Solidarität zwischen den algerischen Einwohnern und den französischen Zuwanderern entstehen lassen, so wie die Polizei jeden Verstoß der Einheimischen gegen französische Gesetze besonders hart ahndete.
Dank der ungeheuren Leistung Pontecorvos und seiner Mitstreiter, der Versuchung einer ideologischen Abrechnung mit der französischen Besatzungsmacht zu widerstehen – auch wenn der Film dort bis 1971 verboten war – entsteht nie der Eindruck von Übertreibung oder Verfälschung, wodurch sich „La battaglia di Algeri“ seine Wirkung bis heute bewahrt hat. Dazu beigetragen hat auch die genaue Schilderung der Vorgehensweise der Widerstandskämpfer, deren Maßnahmen erschütternde Situationen erzeugten. Bevor die FLN begann, gegen den französischen Staatsapparat vorzugehen, verschaffte sie sich Rückendeckung innerhalb des algerischen Stadtteils Algiers, der Kasbah, indem sie gegen Kollaborateure vorging, sowie gegen Alkohol, Drogen und Prostitution, die dem muslimischen Glauben widersprachen. Einheimische, die sich ihren Forderungen widersetzten, wurden rigoros getötet.
Am 01.11.1954 erfolgten die ersten Attentate auf Polizisten, wobei es ihnen zugute kam, das diese – daran gewöhnt, die Lage ohne großen Aufwand im Griff zu haben – leichte Opfer wurden. Die tödlichen Schüsse wurden von den Attentätern in den Rücken abgegeben, ohne dass die Polizisten ihre Angreifer zuvor sehen konnten. Pontecorvo entwickelt daraus eine Gewaltspirale, die so nur vorstellbar ist, wenn sich lang unterdrückter Hass abrupt entlädt. Nachdem die örtliche Polizei, den ständigen Angriffen aus dem Hinterhalt hilflos gegenüber stehend, nächtlich eine Bombe in der Kasbah gezündet hatte, die eine Vielzahl von Todesopfern forderte, schlägt die FLN strategisch zurück. Die Vorurteile der französischen Polizei ausnutzend, legen drei Frauen ihren Schleier ab, kleiden sich europäisch und können so unbemerkt Bomben an stark frequentierten Plätzen deponieren. Pontecorvo benötigt keine dramatischen Zuspitzungen. Allein der Anblick der jungen Algerierin, die inmitten der tanzenden jungen Europäer in dem Café gar nicht auffällt, aber konsequent den tödlichen Bombenanschlag ausführt, genügt, um ihre innere Haltung zu erahnen.
Begleitet von der sparsam, aber wirksam eingesetzten Musik Ennio Morricones, erzählt der Film die Geschichte einer Niederlage, denn die FLN war auf Dauer chancenlos gegen die Strategie der französischen Armee, die alle Einwohner der Kasbah aus ihren Häusern trieb, Einzelne festnahm und dank brutaler Verhörmethoden immer näher an die Köpfe der Organisation herankam. Letztlich war es der Zeitgeist, der das Ende der Besatzungszeit in Algerien erzwang, denn das unwürdige Schauspiel der brutalen Unterdrückung einer einheimischen Bevölkerung, von denen Millionen Anfang der 60er Jahre in Lager eingesperrt wurden, zog zunehmend weltweite Kritik auf sich. Auch 75% Prozent der Franzosen sprachen sich dafür aus, Algerien die Selbstständigkeit wieder zu geben, im Gegensatz zu nur 40% der Einwohner Algeriens, worin die Zerrissenheit des Landes deutlich wird. Auch wenn der Tag der Unabhängigkeit inzwischen mehr als 50 Jahre zurückliegt, blieb das Militär dank des Befreiungskrieges in Algerien einflussreich, was ab 1990 in einen langen Bürgerkrieg mündete – die Folgen der Besatzungszeit sind bis heute nicht überwunden.
Auch „La battaglia di Algeri“ behielt, dank seines generellen Blicks auf die Spirale von Unterdrückung, Gewalt und Gegengewalt, seine Bedeutung und Aussagekraft, denn an den hier gezeigten Mechanismen hat sich nichts geändert. (10/10)