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„Zwei stahlharte Detektive"

Wagt man sich an eine sanfte Neuinterpretation im öffentlichen Bewusstsein fest verankerter Figuren, sollte man schon mal vorsichtshalber die emotionalen Schutzschilde hochfahren. Als Entrüstung getarnte persönliche Beleidigungen werden nicht ausbleiben. Sollte man allerdings den Charakter einer literarischen Kultfigur wie Sherlock Holmes scheinbar auf den Kopf stellen, heißt es nur noch: „Nichts wie weg."

Ganz so schlimm kam es für Guy Ritchie dann doch nicht. Der durch schräge Gangsterfilme bekannt gewordene Brite hat mit seiner poppigen Neuauflage des vor allem auch filmisch reichlich angestaubten Stoffes zwar für ordentliche Unruhe unter den Holmes-Puristen gesorgt, seinen respektlosen Angriff auf das etablierte Holmes-Bild allerdings an der Kinokasse äußerst erfolgreich vorgetragen.

Ohnehin lautet die Gretchen-Frage: "Wie viel literarischer Holmes steckt wirklich in der aktuellen Filmvariante?" Man kennt den berühmten Detektiv fast ausschließlich als pfeiferauchenden, mit Inverness-Mantel und Deerstalker-Hut ausgestatteten, grüblerischen Denker. Ein distinguierter Gentleman alter englischer Schule.
Der von Robert Downey Jr. dargestellte Holmes ist allerdings ein ganz anderer Typ. Ein äußerst agiler, egozentrischer und selbstverliebter Dandy, der seinen durchtrainierten Körper gerne mit Boxkämpfen auf Londoner Hinterhöfen in Form hält. Aus Langeweile und Experimentierfreude ist er auch dem Drogenkonsum nicht abgeneigt. Beim häufigen Tabakgenuss lässt er sich keineswegs von der bekannten Pfeife einschränken und seine Chemiekenntnisse würden so manchem Fachwissenschaftler gut zu Gesicht stehen. Mit seinem Freund und Partner Dr. Watson liefert er sich fetzige Wortgefechte die vor Schlagfertigkeit und Ironie triefen. Auch Kleidung und Frisur haben nichts vom biederen und altväterlichen Stil der uns allen so vertrauten (vermeintlichen) Romanfigur. Lediglich die forensische Arbeitmethode, detailgenaue Beobachtung und nüchtern-sachliche Schlussfolgerung, entsprechen dem vertrauten Bild.

Wer die Kurzgeschichten und Romane Sir Arthur Conan Doyles wirklich liest, wird allerdings nicht wenig erstaunt sein. Selbstbewusstein, Exzentrik, körperliche Fitness sowie eine gesunde Leidenschaft für den Faustkampf und eine weniger gesunde für Drogen (v.a. Kokain und Morphium) finden sich auch hier. Mit anderen Worten: Downey Jrs. „neuer" Holmes ist wesentlich näher an der literarischen Vorlage, als unsere liebgewonnene Vorstellung uns glauben machen will.
Die Lösung des Problems ist recht simpel und erfordert keinesfalls Holmes analytische Ausnahmefähigkeiten. Der mit Jagdhut und Mantel ausstaffierte ältliche Grübler ist eine Erfindung des Illustrators Sidney Paget und entspricht kaum der Beschreibung Conan Doyles. Basil Rathbone hat dann in zahlreichen erfolgreichen Holmes-Filmen dieses Bild durch ein wesentlich breitenwirksameres Medium quasi visuell zementiert (1939-1946 in 14 Filmen).

Auch die etwas superheldenhaft angehauchte Handlung des Guy Ritchie-Films bezieht überraschend viele Themen aus dem Fundus der Romane und Kurzgeschichten. Holmes bekommt es mit dem geheimnisvollen Lord Blackwood (Mark Strong) zu tun, der sich nicht nur der dunklen Magie verschrieben hat, sondern diese auch für seine Allmachts- und Mordpläne einsetzt. Nach seiner Festsetzung durch Watson und Holmes überlebt Blackwood die eigene Hinrichtung und mordet trotz Vorankündigung scheinbar ungehindert weiter. Die beiden Ermittler und mit ihnen Scotland Yard stehen vor einem Rätsel, das letztendlich an den politischen und gesellschaftlichen Grundfesten des Empire rüttelt.

Zahlreiche Plotbausteine wie Geheimorganisationen, okkulte Rituale, Kryptogramme, scheinbar unerklärliche Todesfälle, Drohungen, Erpressungen und Staatsgeheimnisse finden sich allesamt in den Romanen und Geschichten Sir Arthur Conan Doyles. Diese Vorlagentreue herrscht auch größtenteils bei der Beziehung zwischen Holmes und Watson.
Downey Jr. und Jude Law kabbeln sich wie ein altes Ehepaar in fein austarierten Verbalschlachten. Laws viriler Watson ist seinem Freund in Sachen Schlagfertigkeit, Wortwitz und trockenem Humor absolut ebenbürtig und zerschmettert damit das etablierte (aber ebenfalls falsche) Bild vom etwas schwerfällig-dümmlichen Stichwortgeber und leicht unterwürfigen Bewunderer. Seine Ehe mit Mary Morstan (Kelly Reilly) wird im Film ebenso thematisiert, wie der damit verbundene Auszug aus der „Denker-WG" mit Holmes. Die beiden Freunde sind in vielerlei Hinsicht auf gleicher Augenhöhe. Insgesamt zeigt Watson sogar weniger Schwächen als Holmes und ist ihm lediglich hinsichtlich der analytischen Ausnahmefähigkeiten - da allerdings deutlich - unterlegen.

Was den Film dann doch klar von der Vorlage unterscheidet, ist die teilweise stark Actionlastige Handlung. Holmes und Watson wirken in manchen Szenen wie die viktorianische Ausgabe von Riggs und Murtough. Wie ihre Lethal Weapon-Kollegen überleben sie zahlreiche Faustkämpfe, Attentate und Explosionen. Den obligatorischen flapsigen Spruch zum Abschluss natürlich inbegriffen. Holmes kämpft mit Polizeischlagstöcken und Fäusten in bester Martial Arts-Manier. Das atmete zwar nicht den Geist Conan Doyles, ist aber temporeich, witzig und mit ordentlich Pepp inszeniert. Für Holmes-Puristen dürfte dies sicherlich die größte Kröte sein.
Überhaupt steht - ganz im Stil moderner (Superhelden-)Blockbuster - Eye Candy klar im Vordergrund. Das hauptsächlich computeranimierte London um 1890 ist jedenfalls eine optische Pracht. Ritchies Version ist düster, schmuddelig und bedrohlich. Tricktechnisches Prunkstück ist die nur halb fertiggestellte Tower Bridge, die wie ein stählernes Skelett über der Stadt thront. Unnötig zu erwähnen, dass hier der Showdown zwischen Holmes und Blackwood stattfindet.

Bei so viel Action und Schauwerten verkommt der eigentliche Kriminalfall natürlich teilweise zur Staffage und ist letztlich auch nicht sonderlich spannend geraten. Das schadet insbesondere Holmes Gegenspieler. Guy Ritchie-Spezie Mark Strong müht sich zwar redlich in der Rolle des finsteren Widersachers, bleibt aber insgesamt erstaunlich blass. Downey Jr. und Law fungieren fast als Alleinunterhalter.
Es macht einfach ungemein Spaß, den beiden perfekt gecasteten Stars bei der offenbar überaus launigen Arbeit zuzusehen. Vor allem Hauptdarsteller Downey Jr. zieht erneut eine unglaubliche One-Man-Show ab, die zu recht mit dem Golden Globe ausgezeichnet wurde. Alles was der eigentlich schon abgeschriebene Star zur Zeit anpackt, scheint zu Gold zu werden. Und auch der oftmals in seiner Rollenwahl unglücklich agierende Jude Law hat endlich mal wieder einen Glücksgriff getan. Die Chemie zwischen den beiden stimmt jedenfalls und das ist ja bei Sherlock Holmes ein nicht unwesentliches Kriterium für den Erfolg.

Und der ist nicht unverdient. Sherlock Holmes ist zweifellos ein kurzweiliger und visuell beeindruckender Filmspaß, wenn man sich darauf einlassen kann (und will), dass einem das etablierte Holmes-Image um die Ohren gehauen wird. Das letzteres sogar weniger mit der literarischen Vorlage zu tun hat wie die filmische Neuauflage, dürfte allerdings viele überraschen.
Wie dem auch sei. Wer Holmes und Watson als zänkische Action-Detektive erleben möchte, ist in Guy Ritchies Version genau richtig. Robert Downey Jr. und Jude Law sprühen vor Spielfreude und Energie und degradieren den geringen Spannungsgehalt der Story zur Randnotiz. Excellent work, indeed. Und "zu alt für den Scheiß" sind die beiden noch lange nicht.

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