Wenn man etwas über „Tokyo Drifter“ ließt, dann beginnt es zumeist erst einmal mit der Geschichte rund um seine Entstehung. Über die schlechten Bedingungen unter denen Regisseur Seijun Suzuki dieses Werk damals drehen musste. Über sein Verhältnis zum Produktionsstudio „Nikkatsu“, für das er bereits seit 12 Jahren gearbeitet hatte und mit deren Fließbandfilmen er vom Regie-Assistent zum Regisseur aufstieg.
Dabei hatte Suzuki zu Begin keinerlei Probleme mit den spartanischen Arbeitsmethoden Nikkatsus. Drehbücher die man erst 10 Tage vor Drehbeginn erhielt. Filme die in 25 Tagen mit einer Hand voll immergleichen Sets heruntergekurbelt werden musste. Und eine minimale Postproduktion, die keine Zeit für großartige Korrekturen ließ. All das entsprach wohl ziemlich genau Suzukis eigenem Arbeitsstil.
Doch mit den Jahren entwickelte sich Suzuki weiter, wurde experimentierfreudiger und kreativer. Plötzlich begann er aus dem gewohnten Trott auszubrechen und eigene Ideen zu verfolgen. Entwickelte sein Spiel mit den Farben und die schnelle Abhandlung von Gefühlen.
Aus der Vorgabe des Studios, dass das Titellied vom Hauptdarsteller selbst gesungen werden muss, machte er in Tokyo Drifter einfach einen ständig singenden Hauptdarsteller, der immer wieder auf neue den Titelsong anstimmt. Ob nun allein durch die Gegend stapfend oder ganz cool am Boden liegend, um seinem Gegner eine letzte Demütigung zu spendieren.
Über all dem gerät die eigentlich Geschichte von „Tokyo Drifter“ allerdings doch etwas in den Hintergrund. Was in dem Film tatsächlich passiert lässt sich am Ende auf eine Seite Text komprimieren, ohne das wirklich handlungsrelevante Dinge verloren gehen.
Suzuki spielt lieber mit der Darstellung und scheint darüber die eigentliche Story hin und wieder zu vergessen.
Deutungspotential hat der Film dennoch. Von einem Abbild des Werteverfalls hab ich gelesen, und davon das Suzuki selbst in den Film projiziert hat.
Eigentlich kann man beides durchaus nachvollziehen. Tetsu scheint so ziemlich der letzte ehrenhafte und loyale Yakuza zu sein, in einer Welt in der all diese Dinge nichts mehr bedeuten und Verrat an der Tagesordnung ist. Eine Welt in der er aber dennoch, auch mit seinen einengenden Prinzipien, am Ende als Sieger davon geht.
Auch ist Tetsu ein Mann der sich frei machen will. Einer der auszubrechen versucht aus seinem bisherigen Leben, von selbigem aber immer wieder eingeholt wird. Etwas was er vielleicht mit dem gereiften Suzuki gemein hat.
Andererseits ist es genau der, der von solchen Dingen eher wenig hören will. Seine Filme intellektuell (beeinflusst)? Auf keinen Fall!
Politisch motiviert oder sozialkritisch? Oh, nein!
So etwas spielt laut Suzuki keine Rolle. Allein der Spaß am Filme machen ist’s, der zu den bekannten Ergebnissen führt. Gedacht hätte man sich nichts dabei, man hätte einfach nur gemacht.
Und auch auf der so betonten visuellen Ebene scheint dieses Vorgehen zu Hause zu sein. So schreibt er z. B. den interessanten Effekt mit dem schattengeteiltem Bild während der Verfolgung auf den Bahngleisen allein dem Zufall zu. Man hatte aufgebaut und dann war das dort eben so und weil man es für eine nette Idee hielt, hat man es eben auch so gefilmt.
Kurios, aber es funktioniert und machte „Tokyo Drifter“ zu einem angesehenen Kultfilm.
Allerdings einem Kultfilm, der auch deutliche Schwächen hat, wenn man mich fragt.
Die Actionsequenzen wirken heute ziemlich altbacken und viel zu unliebevoll inszeniert. Da helfen auch die gerade in diesem Bereich auftretenden Farbspiele nicht wirklich etwas. Sicherlich, es ist äußerst nett wie sich in einer Szene die weiße Wand verfärbt, als die Frau erst angeschossen wird und dann stirbt. Auch die Beleuchtungsspiele im fast völlig weißen Set des Endfights sind optisch anregend. Der Wechsel der Beleuchtung der Statue von rot zu weiß zu gelb ist symbolisch hoch 10. Aber es macht die Action der Szene, und es ist immerhin eine Actionszene, keinen deut aufregender. Beides harmoniert nicht zusammen, sonder läuft eher parallel. Und das mit einem deutlichen Fokus auf die Beleuchtungseffekte.
Auch die unausreichende Post-Produktion merkt man dem Film hie und da negativ an. Grad der Schnitt ist mir oft zu holprig, was aber auch mit Suzukis ureigenem Inszenierungsstil zu tun hat, der sehr auf „schnell weiter“ ausgelegt ist, besonders wenn es droht mal emotional zu werden.
Aber auch die Inszenierung Otsakus hat sich mir nicht ganz erschlossen. Wie man immer bemüht ist mit der Kamera möglichst nah an ihm, seinem roten Anzug und der Sonnenbrille zu bleiben, das hat mich schon etwas gestört. Zumal ich in diesem Vorgehen auch nicht wirklich einen besonderen filmischen Sinn erkennen konnte.
Nichts desto trotz ist „Tokyo Drifter“ in durchaus sehenswerter Film mit einigem an guten visuellem Einfällen und einem besonderem, rebellischem Charme. (der aber erst richtig zu Tage dritt, wenn man die Umstände der Produktion kennt)
Apropos, was wurde nun eigentlich aus Suzuki und Nikkatsu?
Nun, glücklich waren die Produzenten mit „Tokyo Drifter“ nicht, aber man wollte dem fleißigen Suzuki, der immerhin lange Zeit wie am Fließband gefilmt hatte, auch noch nicht aufgeben. Doch nur ein Jahr später war dann mit „Branded to Kill“ die Schmerzgrenze überschritten und Suzukis Ende bei Nikkatsu besiegelt.
Was folgte warenböse Worte und ein langer Rechtsstreit. Suzuki sprangen Regiegrößen wie Akira Kurosawa oder Nagisa Oshima zur Seite, aber dennoch erhielt seine Karriere einen deutlichen Knick und Filme konnte er nur noch selten machen.
Das ist wohl der Preis, den man dafür bezahlen muss ein Künstler zu sein.