„Ich rede von Freundschaft. Ich rede von Charakter. Ich rede von…..verdammt Leo, ich schäme mich nicht dieses Wort zu benutzen…Ich rede von Ethik!.......Ethik unterscheidet uns von den Tieren, den friedlichen Tieren und den Raubtieren.“
Worte aus dem Munde des italienischen Bandenchefs Johnny Caspar (Jon Polito), als er sich bei dem irischen Mafiaboss Leo (Albert Finney) über dessen Schwager Bernie (John Turturro) beschwert. Wohlgemerkt, weil Bernie eine Schiebung verraten hat! „Jemand, der Charakter hat, würde nie eine Schiebung verraten!“
Der Eröffnungsdialog in „Miller’s Crossing“ ist nicht nur pervertierte Doppelmoral, sondern auch gleichzeitig der Auslöser für einen blutigen Bandenkrieg.
Leo glaubt Herr der Lage zu sein – alle staatlichen Institutionen sind unter Kontrolle und die rivalisierenden Italiener sind noch bei weitem nicht so mächtig wie er. Jedoch weiß der irische Gangsterboss nicht, dass der Verrat bereits bei den engsten Vertrauten anfängt. Sein persönlicher Berater Tom (Gabriel Byrne) schläft mit seiner Lebensgefährtin Verna (Marcia Gay Harden). Ethik!? So etwas existiert in der unbekannten Stadt im Osten der USA zur Zeit der Prohibition überhaupt nicht.
Der Betrachter begleitet überwiegend Tom bei seinem Tanz auf der Rasierklinge zwischen Lügen und Intrigen. Tom steht zwischen den Fronten. Er lässt sich nicht von Gefühlen leiten, jede emotionale Regung erfüllt ihren Zweck. Gabriel Byrne spielt den amoralischen, kalten Opportunisten unheimlich überzeugend. Er reduziert Gestik und Mimik auf ein Minimum und wirkt wie eine Maschine, die stets ihren eigenen Vorteil errechnet.
Die Brüder Coen zeichnen in „Miller’s Crossing“ im Vergleich zu Coppolas „Der Pate“ ein völlig anderes Bild der Mafia. „Die Familie“ wird durch einen Haufen opportunistischer Einzelgänger ersetzt. Ethik zählt hier gar nichts. Worte klingen in Hinblick auf die Taten wie Hohn und Spott. Dementsprechend kompromisslos wird Plot dem Betrachter serviert. Während in „der Pate“ noch von „Business“ im Kreise der „Familie“ die Rede war, zählt in „Miller’s Crossing“ nur der eigene Vorteil, das eigene Überleben. Kalkül im Dunstkreis von Blut!
In „Miller’s Crossing“ herrscht tief verankerter Opportunismus. Trotzdem drücken die Coen-Brüder dem Film ihren speziellen Stempel der Skurrilität auf, wodurch die ganze Sache ein wenig aufgelockert wird. Ein an sich klassischer Gangsterfilm bekommt weitere Facetten. Die Regisseure vereinen Unvereinbares. Ja, Widersprüche sind ein wesentliches Stilmittel. Gerade deshalb ist die Wirkung oft irritierend bzw. befremdlich. Neben kompromissloser Gewalt existiert Humor, der nicht einmal ausschließlich von der schwarzen Sorte ist. Darüber hinaus fließen Film noir typische Elemente in die Handlung mit ein. Es gibt nur Verlierer, die Situation erscheint ausweglos und der Plot ist weniger geradlinig, vielmehr pointiert. Unterstützt von überwiegend unterbelichteten Kulissen, in denen der Schatten eine große Rolle spielt, stellt man auch optisch einen direkten zur schwarzen Serie der 40er Jahre her. Schuld von Unschuld kann im Sündenmoloch ohnehin nicht mehr unterschieden werden. „Miller’s Crossing“ bietet keine Sympathieträger oder Identifikationsfiguren. Viele Dialoge dienen der Charakterzeichnung – das Bild ist erschreckend.
Die Erzählweise ist gemächlich, man zieht das Tempo lediglich für vereinzelte Schießereien an. Brutale Gewaltszenen erfüllen den Zweck Gewalt als solche darzustellen, ohne daraus Schauwerte zu machen. Der Film mag nicht einmal unbedingt mit Realismus fesseln – Coppolas „Pate“ erscheint mit seiner Darstellung der Mafia wesentlich ernsthafter. Umso erstaunlicher ist es, dass der Unterhaltungswert dennoch sehr hoch ist. Der Plot bietet Spannung und lässt Langeweile im Keim ersticken. Das Gemisch aus verschiedenen, eigentlich widersprüchlichen Elementen ist unheimlich harmonisch – einerseits latent nihilistisch und unglaublich kalt, aber andererseits überspitzt skurril.
Letztendlich ist „Miller’s Crossing“ eine Bereicherung für den Gangsterfilm. Die Coen-Brüder nutzen das Genre als Rahmen, um weitere Facetten hinzuzufügen. Genretypische Merkmale werden mit Humor und nicht von der Hand zu weisenden Film noir typischen Stilelementen ergänzt. Das Endprodukt strahlt nicht den realistischen Charakter von Coppolas „Der Pate“ oder Scorseses „Good Fellas“ aus, aber „Miller’s Crossing“ überzeugt auf eine vielseitige, skurrile und kompromisslose Art und Weise. (8/10)