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Was muss “Crank 2" bieten, um seine Existenz zu rechtfertigen? Für eine nach einer Kurbel benannte Filmreihe ist das eine einfache Frage: er muss übersteigern, egal um welchen Preis. Und wenn er dazu auch Menschenrechte mit Füßen tritt, schnittechnische Epilepsie provoziert oder Logik und Realismus aushebelt, irgendwie muss die Schraube weitergedreht werden. Konstanz jedenfalls hieße Stagnation, und Stagnation wäre hier gnadenloses Scheitern.
Quizfrage für die Autoren: Wie übersteigert man Film gewordenes Crack, das seinerzeit selbst schon als Inbegriff der Übersteigerung galt?

A) Comics für Erwachsene heißen “Graphic Novel”? Nicht dieser, Baby!
Der Fall, der Aufprall, Chev Chelios ist tot - sollte man nach Hunderten von Metern Freiflug denken. Dann der Wimpernschlag. “Crank 2" ist eine unmögliche Filmfortsetzung, die sich aus zugrunde gegangenem Repertoire bedient, erledigten Figuren, die wahlweise längst den Löffel abgegeben, ins Gras gebissen, die ewigen Jagdgründe gesucht oder schlichtweg zu Brei geballert wurden. Natürlich spielte schon “Crank” gerade mit der Unmöglichkeit der Situation und dem Umstand, dass Chev Chelios im Grunde genommen schon in den ersten Minuten von Teil 1 hätte tot sein müssen. Seine Aufräumaktion hatte für die Gegner zuerst was von Kollateralschaden, dann Ungläubigkeit und schließlich unfassbarem Entsetzen. Wider aller Wahrscheinlichkeit schlug sich das zähe Leder zu den Oberbossen hindurch, klemmte sich an einen Heli und zog den Baddie mit ins Verderben, der nicht glauben konnte, was da passierte. Und doch, bei all dem Spott der Stochastik, irgendwo spielte immer ein Hauch des Realistischen mit im Handlungsverlauf; der Gedanke, dass das alles möglich war, so unwahrscheinlich es auch sein mochte, schwang stets mit.

Dem ist nun nicht mehr so. Ein Comic, das ist “Crank 2" und war “Crank” nicht. Der Realismus-Einwand der blonden Eve, sie habe bei youtube gesehen, dass ein Mann bereits aus Hunderten Metern Höhe gefallen und nicht getötet worden sei, ist bereits eher Medienkritik (derweil übrigens in einem Atemzug weiterhin die “Google Maps”-Technologie verwendet wird) als eine ernsthafte Rechtfertigung für die hanebüchene Ausgangssituation. Spätestens aber, als Chev ein von einer Autobatterie angetriebenes Herzsubstitut eingesetzt wird und später gar ein Kopf durch Schläuche und ein Wasserbad am Leben erhalten wird, so als seien wir bei “Futurama”, mutiert “Crank 2" zur Science Fiction, die man an dieser Stelle nur herzlich willkommen heißen kann.
Übersteigerungs-Check: die Kurbel dreht sich um 315 Grad

B) Hier ist das Vögelchen - Kamera und Optik
“Crank” war in erster Linie Perspektive. Die Perspektive eines Mannes in einer sehr unwahrscheinlichen Extremsituation nämlich, die so absurd war, dass ihr nur noch mit Sarkasmus begegnet werden konnte. Um Perspektive zu gewinnen, heftete sich die Kamera minutiös an die Fersen der Hauptfigur, und wie sie das machte, war der eigentliche Ertrag von “Crank”. Michael Bay’sche Kamera-Rundumfahrten wurden in Einzelbildfragmente zerhackstückt, der hübsche, flüssige Ablauf ästhetisch verunstaltet. Egoperspektive, Farbfilter-Verfremdungen, das ganze Programm in schwindelerregender Wechselfolge. Die titelgebende Schraube zog an bis zum ultimativen Tunnelblick.
“Crank 2" übernimmt den Stil mitsamt der Echtzeit, variiert ihn um einige interessante Facetten (einmal hüpft Statham aus Vogelperspektive gefilmt mit seiner charakteristischen Glatze immer wieder der Kamera entgegen wie Super Mario auf Pilzen), ohne ihm jedoch einen wirklich neuen Twist zu verpassen. Kein Wunder, reizte “Crank” doch bereits alles aus, was perspektivisch zu holen gewesen ist. Jede Sekunde, in der Chev sich durch bereits bekannte Stilmittel plagt - die Google Map, das klingelnde Telefon mit physikalischem Dopplereffekt, Egoperspektiven, grelle Farbfilter - vergeudet der Film wertvolle Zeit, in der nicht gekurbelt wird.
Übersteigerungs-Check: die Kurbel dreht sich um 15 Grad

C) Electric Dragon 80.000V
Erst Gift im Blutkreislauf, jetzt ein künstliches Herz und der permanente Drang nach elektrischer Aufladung - eine Neuerung zweifellos, aber auch eine Steigerung? Kann man so sagen. Zwar rennt Chev immer noch um seinen Verstand wie einst Forrest Gump und ist nach wie vor damit beschäftigt, Stimuli zu finden, diese sorgen aber für noch wahnsinnigere Drehbucheinfälle. Ständig werden “High Voltage”-Warnschilder eingeblendet, deren ironische Wirkung jedes Mal wie ein pulsierendes Ausrufezeichen aufleuchtet. Die Batterieaufladung pendelt methodisch zwischen helleren (das Reiben an fremden Menschen) und tiefschwarzen bis brutalen (Starthilfe per Klemme an Zunge und Brustwarze) humoristischen Einlagen. In anderer Hinsicht wiederum folgt “Crank 2" aber lediglich dem banalen “höher, schneller, weiter”-Prinzip eines jeden Sequels, wenn etwa die Sexszene mitten im chinesischen Viertel mit einer noch derberen Sexszene mitten auf der Pferderennbahn vor riesigem Publikum getoppt werden soll.
Übersteigerungs-Check: die Kurbel dreht sich um 120 Grad

D) “Wo ist meine Erdbeertorte”? - Symbole, Metaphern, Bildsprache
Seine eigentlich brillanten Momente besitzt “Crank 2" aber zweifellos in der Kommunikation mit dem Publikum. Das beginnt bei dem dominanten, nicht mehr so pointierten, aber ultraschnellen Soundtrack. In einer Szene gleich zu Beginn wird eine Melodie gepfiffen, als Chelios sie, beinahe als hätte er sie mit eigenen Ohren gehört, kurz darauf nachpfeift.
Dann der Slang: Weit über das “Homes”-Gesabbel irgendwelcher Mexikaner hinaus nimmt die Ghettosprache wenig subtil erklärende Ausmaße von parodistischer Köstlichkeit an. Chev fragt seinen Gegner (dem er übrigens gerade den Lauf einer in Öl getauchten Pumpgun in den Arsch geschoben hat), ob der denn wisse, wo seine Erdbeertorte sei. Wenige Sekunden lässt die Regie dem Zuschauer Zeit, über den nicht Sinn machenden Ausspruch nachzudenken, bis die erste von vielen Texteinblendungen erfolgt: “Erdbeertorte = *Herzsymbol*”. “Crank 2" hat sein Publikum ab einem gewissen Moment im Griff wie ein Komiker, der sein Publikum längst in kreischende Lachsalven befördert hat und der nicht mehr viel tun muss, um weitere Lachsalven zu provozieren, weil die Leute nicht mehr über die Witze lachen, sondern über sich und das Kreischen selbst. Nach diesem Prinzip funktioniert der Umgang von “Crank 2" mit seiner stetigen Entfernung von der Realität durch Symbole und Metaphern, die den Platz des Wirklichen einnehmen und das Geschehen zunehmend surrealer machen. Das führt so weit, dass sich der Film für kurze Momente gar in eine bizarre “Godzilla”-Hommage verliert, ebenso wie in eine Talk Show-Nachstellung inklusive Flashback in die Jugendzeit des guten alten Chev. Zudem wird dem populärsten MacGuffin der Postmoderne, dem Koffer mit dem golden schimmernden Inhalt aus "Pulp Fiction" Tribut gezollt und selbst Jason Stathams “Transporter”-Rolle findet namentlich Erwähnung und führt die Grenzüberschreitung von Fiktion und Wirklichkeit weiter.
Übersteigerungs-Check: die Kurbel dreht sich die vollen 360 Grad.

Zwischenfazit, bevor es mit einem desaströs zugerichteten Chev-Chelios-Supermenschen in den dritten Teil geht:
Unmittelbar vor dem endgültigen Exitus liegt nach den Mechanismen der “Live Fast, Die Young”-Einstellung der absolute Höhepunkt. Wenn noch etwas kommen soll, muss es das Vorherige übertreffen. “Crank 2" ist im Übertreffen des Vorgängers eine zwiespältige Angelegenheit.
Seine besten Momente hat die Fortsetzung immer dann, wenn sie sich in Experimenten verliert. Bildflächen mit blinkenden “Fuck you Chev Cheli-Fuckin-os”-Tafeln, seltsame kryogene sprechende Köpfe, brennende Menschen und Gewaltsequenzen von “Ichi the Killer”-Qualität, die dem guten Geschmack ins Gesicht spucken, Texttafeln und comichafte Texturen, hierin weiß der Film zu überraschen, zu erfreuen, zu peinigen. Problematisch wird es, wenn bedingt durch den Druck der (Echt-)Zeit nicht Besseres gelingt als die “Crank”-Routine zu fahren, indem die Trademarks des Originals einfach übernommen oder allenfalls uninspiriert ausgeweitet werden, zumal plottechnisch diesmal ein greifbarer Gegenspieler auf Augenhöhe fehlt, wie Jose Pablo Cantillo ihn im ersten Teil gab. Angesichts der ungemeinen Unterhaltsamkeit und dem sich schließlich doch durchringenden Gefühl, dass die Kurbel tatsächlich wieder ein Stück weiter angespannt wurde, und sei es nur in Sachen Geschmacklosigkeit, bleibt ein zufriedenes Gefühl zurück. “Crank 3" müsste dann allerdings in Hinblick auf den körperlichen Verfall Chelios’ gleich mit einem “Robocop”-Remake verknüpft werden, um da noch eins draufzusetzen.

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