"Was wollen Sie mit Ihren Gedichten aussagen ?" - "Nichts !"
"Pink" (Hannah Herzsprung) ist eine angesagte Autorin, die vor einem großen Publikum ihre Gedichte aufsagt. Ihre äußere Erscheinung ist cool, ihr Verhalten unangepasst und für das Publikum ist sie mit ihren Texten, die direkt und ungekünstelt wirken, ein Idol. Nicht erstaunlich, dass drei Männer gleichzeitig um sie werben - Carlo (Guntram Brattia), ein erfolgreicher und viel beschäftigter Unternehmer, Georg (Florian Panzner), ein in Kulturkreisen anerkannter Verleger, und Balthasar (Cornelius Schwalm), ein etwas einfach gestrickter Junge vom Lande, der seine Gefühle in autistischen, monotonen Gesängen ausdrückt.
Regisseur und Autor Thome beginnt seinen Film in ruhigen Bildern mit wenigen Dialogen und irritiert mit dieser unpassenden Konstellation. Als die drei Freier mit ihren Blumensträußen vor Pink auftreten, die kurz zuvor noch einen Verehrer schnippisch abblitzen liess, kann man sich nur vorstellen, dass sie angesichts der drei wenig aufregenden Typen in Lachen ausbricht. Stattdessen erzählt sie von einer göttlichen Eingebung und dem daraus entstandenen Willen, einen von ihnen heiraten zu wollen. Sie zieht sich zurück, ermittelt mittels einer Anforderungsliste den Mann mit der höchsten Punktzahl und heiratet diesen kurz darauf kirchlich, um bei der Hochzeitsfeier zu verkündigen, jetzt für immer glücklich sein zu wollen.Nichts scheint hier zusammen zu passen, das Verhalten der Charaktere pendelt zwischen irre und klischeehafter Vorbestimmung. Die drei Männer kommen über Abziehbilder nicht hinaus, aber auch Pink wirkt als merkwürdiges Zwitterwesen zwischen konservativer Frauenrolle und jugendlich revolutionärer Erscheinung wenig fassbar.
Längst könnte "Pink" zu diesem Zeitpunkt als böse Persiflage auf die vielen romantischen Komödien funktionieren, die regelmäßig mit ihren vorhersehbaren Geschichten den Kinosaal füllen. Das Strickmuster ist immer gleich - zuerst eine scheinbar unmögliche Situation, dann eine längere Phase des gefühlsmäßigen Herumirrens der Protagonistin bis am Ende doch "Mr.Right" gefunden wird, so das die traditionelle Frauenrolle fröhliche Urständ feiern kann. Man muß nicht weit zurückgehen, um dafür passende Beispiele zu finden. In "Zufällig geheiratet" (2008) wird die Protagonistin von einem Computerfreak mit einem unbekannten Mann vermählt, den sie zuerst ablehnt, um ihm letztlich mit dickem Bauch zu Füßen zu liegen. Ähnliches widerfährt auch der Heldin in "P.S. I Love you" (2008), deren Mann zwar stirbt, aber aus dem Jenseits dafür sorgt, dass sie wieder an einen selbstverständlich virilen Kerl gerät. Beide Frauen haben natürlich auch einen Job, in dem sie wie aus dem Nichts sehr erfolgreich sind - so wird die Protagonistin in "P.S. I love you" in einer kurzen Phase ohne Mann zur erfolgreichen Schuh-Designerin.
"Pink" erzählt letztlich keine andere Geschichte, aber kaum Jemand merkt es, denn Thome gefällt sich nicht darin, eine Anti-Komödie zu gestalten, die ihre Lacher letztlich vor dem gleichen Hintergrund gewinnen würde, sondern er reduziert seinen Film auf die wesentlichen Storyelemente, die er mit teilweise rigorosen Zeitsprüngen aneinander reiht. Er lässt den ganzen Zuckerguss weg, der die Idiotie und verlogene Haltung, die diese Stories in der Regel beinhalten, zum konsumierbaren Gut werden lässt. Es gibt keine witzigen Nebenfiguren, keine netten Geschichten, keine charakterlichen Ausschmückungen, keine Tränen und selbst die wenigen emotionalen Ausbrüche werden auf das Wesentliche reduziert.
Zudem verzichtet er auch auf jegliche gestalterische Merkmale, die es dem Publikum leicht machen sollen, über den storytechnischen Schwachsinn hinweg zu sehen. Fetzige Filmmusik, schnell Schnitte, optische Leckerbissen - alles Fehlanzeige. Diese Reduziertheit stellt er nicht etwa her, in dem er auf schöne Locations, stylische Wohnungen oder attraktive Menschen verzichtet - im Gegenteil kommen diese Ingredenzien hier wie in jedem Hollywood-Film auch vor, aber er nimmt diesen jeden Glamour, indem er sie im Stil des "Berliner Kinos" mit langen Kameraeinstellungen ablichtet. Durch diese Art der Inszenierung bleibt lange der Eindruck bestehen, der Film würde seine Story ernst nehmen. Darin liegt auch ein Spiel mit den Vorurteilen über den deutschen Film, der ja für seine Ernsthaftigkeit berühmt ist, wenn er nicht gerade eine alberne Komödie abbildet.
Zunehmend dreht Thome an der Schraube, reiht ohne Unterlass Ereignis an Ereignis, so dass lesbische Erfahrungen, Selbstmord des ersten Mannes oder der Tripper, den sie sich von dem sie betrügenden zweiten Mann einfängt, wie kleine Anekdoten am Rande erscheinen. Durch den Stil, den er konsequent durchhält und der in seiner Ernsthaftigkeit nie auf billige Lacher setzt, bleiben immer Zweifel bestehen, ob irgendwann der Moment der Erkenntnis oder wenigstens einer Konsequenz kommt. Aber das geschieht nicht. "Pink" verrät seinen Stil in keinem Moment an irgendeine Erwartungshaltung, setzt nicht auf billige Effekte oder Insiderkenntnisse, sondern bleibt eigenständig, obwohl jedes Detail des Films auf einem Zitat beruht. Selten wurde eine konstruierte Geschichte ungekünstelter präsentiert. Dazu tragen auch die durchgehend überzeugenden Darsteller bei, die auf jegliches Overacting verzichten und selbst die idiotischsten Dialoge mit ernsthafter Miene vortragen.
Thome muss gewusst haben, dass "Pink" auf Ablehnung stoßen wird, denn er forciert seine Story bis zu einem äußerst kitschigen Ende, ohne dabei Botschaften zu verbreiten oder wenigstens Trashgelüste zu befriedigen. Trotzdem ist "Pink" urkomisch - spätestens, wenn man begreift, dass hier etwas aufgetischt wird, dass als Essenz der täglichen Berieselung zu verstehen ist - egal ob im Film oder im Fernsehen. Es bedarf allerdings einer gewissen Unabhängigkeit in der Erwartungshaltung von Sehgewohnheiten und vielleicht setzt die Erkenntnis erst etwas nach dem Ansehen des Films ein.
Man muss sich doch nur einmal die Reaktion von Pinks erstem Mann vor Augen führen. Am Hochzeitstag sagte er ihr, dass er sich umbringen werde, wenn sie ihn verlassen würde. In wie vielen Filmen haben Männer diesen oder einen ähnlichen Schwur schon gemacht, ohne sich später daran zu halten ? - Deshalb erstaunt auch der Abschiedsbrief nicht, den der tüchtige Mann hinterliess : "Ich tue, was ich einmal gesagt habe" (9/10).