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Eine kluge Lebensweisheit besagt "Weniger ist oft mehr". Im Genre des Spinnenhorrors lässt sich dieser Spruch glatt umdrehen: nicht eine einzelne Monsterspinne à la "Tarantula" lehrt uns das Fürchten, sondern möglichst viele Arachniden sollten es sein.

Diese Faustregel liegt darin begründet, dass das Genre seine Effektivität aus der Orientierung am Realismus bezieht. Denn Arachnophobie - obgleich damit allgemein eine konkrete, stark ausgeprägte Furcht vor den Achtbeinern bezeichnet wird - ist eine latente Urangst, die prinzipiell in jedem Menschen steckt. Genau darin ist der Grund zu finden, weshalb die Arbeit mit echten Spinnen mehr Horror erzeugt als die mit gigantischen Gummimonstern. Bei letzteren steht auch weniger der Spinnenaspekt als vielmehr der Godzilla-Gigantismus im Vordergrund. Mit dem Spinnenhorror in der Frühzeit der Filmgeschichte ist daher auch eine gewisse drollige Naivität verbunden. Man nahm etwas Ekliges und vergrößerte es tausendfach mit dem Gedanken, dass sich auch der Ekel und der Horror tausendfach vergrößern würden.

Dass dem nicht wirklich so ist, bewies als erster Film besonders eindrucksvoll "Mörderspinnen" mit William Shatner aus den 70ern. Blieben Story, Look und visuelle Einfälle hier eher auf niedrigem Niveau, überzeugte vor allem die Arbeit mit hunderten von echten Spinnen auf engstem Raum. Legendär die Szene im Flugzeug, in der die Panik durch das Fehlen einer Fluchtmöglichkeit wohl so intensiv dargestellt wurde wie niemals zuvor.

1990 machte sich Steven Spielberg an einen Film, der die filmischen Verdienste von "Mörderspinnen" mit der gewohnten cineastischen Klasse einer Spielberg-Produktion verband. In Frank Marshall hatte er einen passenden Regie-Debütanten gefunden, der wohl auch seinen Anteil daran hatte, dass "Arachnophobia" der bis heute wohl beste realistische Spinnenhorrorfilm aller Zeiten wurde.

Die Story ist sehr schlicht und plausibel, wodurch der Realismus schon in seinen Grundzügen erhalten bleibt. Einleitend begleiten wir eine Gruppe von Forschern, angeführt von Julian Sands, im Dschungel Mittelamerikas. Ursprünglich auf der Suche nach Schmetterlingen, stellt man überall Auffangbehälter auf und sprüht die Bäume mit einem Gift ein. Neben den Schmetterlingen und anderem Getier fallen auch einige ungewöhnlich große Spinnenexemplare ungeklärter Herkunft in die Behälter - und sie sind nicht tot. Ein Teilnehmer der Expedition wird gebissen und stirbt binnen kürzester Zeit. Die Spinne nistet sich als blinder Passagier im Sarg des Toten ein und wird nach Kalifornien befördert, wo sie sich mit gewöhnlichen Hausspinnen paart und eine besonders tödliche Gattung produziert.
Derweil erreicht gerade der Arzt Ross Jennings mit seiner Familie das kleine Örtchen. Er will die Praxis des bisherigen Arztes übernehmen, doch der will noch nicht in den Ruhestand. Mitten in diesem kleinen Streit häufen sich bald unerklärliche Todesfälle, die nur eine - wenn auch unglaubliche - Erklärung zulässt: der Tod wurde durch Spinnenbisse verursacht...

Das Team Spielberg/Marshall beherrscht das Spiel mit der Angst noch um einiges besser als der bisherige Spitzenreiter aus den 70ern. Mit Ross Jennings (sympathisch wie immer gespielt von Jeff Daniels) wird dem Publikum zunächst einmal eine Identifikationsfigur geboten, die trotz ihrer Eigenschaft als Arzt eine irrationale Angst vor den Krabblern erleidet. Begründet liegt dies in einer grauenvollen Kindheitserfahrung, über die im Laufe des Films ohne Bilder, aber in einer sehr bildhaften Erzählweise geredet wird. Das ist typisch Spielberg: schon bei "Der weisse Hai" wurde in einem ruhigen Moment unter Deck eine erlebte Geschichte erzählt, die sich erst in der Fantasie der Zuschauer wirklich entfaltet. So schrecklich die Vorstellung ist, mit seiner Mannschaft tagelang hilflos im Wasser zu treiben und von Haien umrundet zu werden, so grauenvoll erscheint gerade einem Phobiker die Vorstellung, wie es wohl sein mag, als Baby hilflos im Wiegebett zu liegen und eine riesige, fette Spinne auf sich zukrabbeln zu sehen.

Aber gerade die tatsächliche Bedrohung wird auf verschiedenste Art und Weise dargestellt. Sei es ein dunkler Schatten an der Wand, sei es die Attacke aus einem Lampenschirm oder auch der Sprung vom Duschvorhang auf die nackte Haut des Opfers, stets sind Timing, Kamera und Schnitt so abgestimmt, dass man gleich im nächsten Moment hinter das eigene Sofa springt, um den Boden nach ungebetenen Gästen abzusuchen. Erwähnenswert ist hier vor allem auch die absolut optimale Dosierung der Schreckmomente. Auch Jeff Daniels muss man ein Lob aussprechen: bei den Konfrontationen mit den diversen Spinnen kommt die Arachnophobie sehr glaubhaft rüber.

Ein entscheidender Unterschied zu "Mörderspinnen" ist der eingestreute Humor, der das ganze Geschehen regelmäßig auflockert. Garant dafür ist John Goodman, der einen erinnerungswürdigen Auftritt als Seuchenbekämpfer hat. Seine Auftritte werden von lustig-heiterer Musik untermalt, die den Film wie eine Achterbahn erscheinen lassen - Schocks und Frohsinn wechseln sich ab.

Das Finale wiederum ist ganz ähnlich aufgebaut wie in "Mörderspinnen", nur noch eine Ecke klaustrophobischer. Es findet im Haus der Jennings statt, wo sich erst einzelne Spinnen auf der Fernsehmattscheibe und am Türrahmen bemerkbar machen. Als Jennings und seine Familie merken, was los ist, sid bereits alle Ausgänge versperrt.
Unglaublich, welche Arbeit die Choreographen hier vollbracht haben. Es ist schwer vorzustellen, wie man derart viele Spinnen so brillant einsetzen kann. Sie krabbeln an der weißen Wand entlang, sie versperren alle Fenster und Türen, sie kriechen durch sämtliche Schlitze und hängen durch ihre Spinnenfäden gesichert mitten in der Luft. Man stelle sich eine solche Situation mal im eigenen Haus vor.
Ross Jennings, der mit der am stärksten ausgeprägten Arachnophobie, wird dann auf sich allein gestellt nochmal mit seiner eigenen Angst konfrontiert, als er von der Treppe und durch den Boden in den Keller fällt, wo die Brutstätte des mittelamerikanischen Mitbringsels ist. Die große Konfrontation entbrennt, Arachno à Mano, Spinne gegen Mann. Der große Höhepunkt vollzieht sich dann klug mit Rückblick auf die ebengenannte Kindheitserinnerung: von einem niedergefallenen Holzbalken bewegungsunfähig gemacht muss Jennings mit ansehen, wie das riesige Vieh immer näher auf ihn zukrabbelt. Der Klimax ist dann zwar etwas übertrieben, dafür aber extra eklig und im Prinzip nicht anders als das Ende von "Der Weisse Hai" (Spielberg, deine Handschrift ist unverkennbar).

"Arachnophobia" ist das perfekte Beispiel dafür, wie ein Film seinen Zweck auf optimalste Weise erfüllt. Spielberg und Marshall spielen gekonnt mit den Urängsten der Zuschauer und lockern das Ganze mit frischem Witz und toll aufgelegten Akteuren auf. Für mich ein moderner Klassiker und definitiv die Krönung seines Genres.
9/10

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