Thomas (Eike Weinreich), der in einer Kleinstadt in der niedersächsischen Provinz lebt, beginnt mit seinem Bundeswehr-Ersatzdienst in einer Klinik. Der etwas blasse 19jährige, der aus einem behüteten Elternhaus stammt, befindet sich an der Schwelle zum Erwachsenwerden, was ihm in der Konfrontation mit der rauen Arbeitswelt und nicht zuletzt den kecken Mädels vor Ort deutlich anzumerken ist.
Angesichts der Tatsache, dass Regisseur und Autor Oliver Jahn sowie sein Hauptdarsteller aus Oldenburg stammen, scheint der Verdacht eines autobiografischen Hintergrundes nicht weit hergeholt. Dafür spricht auch der sensible Umgang mit dem Thema, denn Thomas' Abkapselung vom Elternhaus, erste Liebe und beginnendes Selbstbewusstsein im Berufsleben wird schlüssig und ohne Extreme geschildert.
Allerdings beschäftigt sich Oliver Jahn noch mit einem weiteren Thema - dem obsessiven Wahn der gesunden Ernährung und Lebensführung. Vielleicht wurde er selbst in seinem Elternhaus damit gequält, vielleicht nervt ihn das Thema sowieso - zumindest kann er sich sicher sein, dass er damit bei einem großen Teil des Publikums offene Türen einläuft. Jahn fährt in "Die Eisbombe" ganz große Geschütze auf, indem er eine Familie - natürlich die von Thomas - als extremen Hort einer paranoiden Furcht vor jeglichem Umweltgift darstellt. Nicht ohne im Hintergrund ein nahegelegenes Atomkraftwerk zu zeigen, dass merkwürdigerweise nie thematisiert wird.
Die darin verborgene Unlogik und der Wahn des inneren Zwanges, der letztlich erst wirklich krank macht, wird einerseits satirisch auf den Punkt gebracht, andererseits dazu genutzt, beispielhaft die elterliche Kontrolle auf den Sprössling zu demonstrieren, die es bei der Abnabelung zu überwinden gilt. Selbst Thomas merkwürdige Gesänge und sein Halten der Hände über den Kopf, wenn er in die Natur tritt (aus Angst vor radioaktivem Befall), bleiben in ihrem Gestus noch als Ausdruck von Unbeholfenheit nachvollziehbar. Nicht erstaunlich, dass er dieses Verhalten - nachdem sich die geduldige 50jährige Krankenschwester Elfie (Heike Jonca) um ihn kümmert - schnell ablegt.
Auch die "Eisbombe", die ein Loch in das Dach des Elternhauses schlägt, und durch ihr Schmelzen die Wände verseucht, kann trotz ihrer Absurdität als das notwendige Ereignis herhalten, dass meist für Veränderungen notwendig ist. Für Thomas Eltern Beate (Karoline Eichhorn) und Jörg (Peer Martiny) ist es der "Super Gau", weshalb sie in den Bunker ziehen, den sie vorsorglich im Garten unter der Erde vorgesehen hatten. Als Thomas in dem engen Raum ausgerechnet mit seiner Mutter auf einer Pritsche schlafen soll, packt er seine Sachen und zieht in ein kleines Zimmer in die Klinik.
"Die Eisbombe" bleibt lange Zeit trotz aller satirischen Elemente in seiner Beschreibung des Erwachsenwerdens ernsthaft, gut daran erkennbar, dass Thomas nie der Lächerlichkeit preisgegeben wird. Zu verdanken ist das auch der Begegnung mit Lucie (Katharina Schüttler), mit der sich die erste Liebe anbahnt - eine Beziehung, deren Entwicklung emotional, aber ohne übertriebene Dramatik erzählt wird. Leider driften die beiden Storyelemente in ihre Ausgestaltung zunehmend auseinander.
Während der psychologische Druck, den Thomas Mutter immer stärker aufwendet, noch exemplarisch wirkt, wird sie zunehmend dämonisiert. Durch die Hinzuziehung des Fernsehens, dass sich in typischer Privat-Fernsehmanier, eines sensationsheischend- aufklärerischen Stils befleissigt, wird die paranoide Familie immer mehr zur Freak-Show hochstilisiert. Dabei geht Oliver Jahn das Augenmass verloren, denn dieser extremen Darstellung hätte es nicht bedurft, da an seiner kritischen Intention sowieso kein Zweifel bestand. Vor allem wird die sonst stimmig erzählte Story um Thomas überdeckt und der Film bekommt einen veränderten Charakter, der zunehmend der schenkelklopfenden Schadenfreude frönt.
Alleine die Schlusseinstellung zeigt diesen Zwiespalt - während der letzte Blick auf Thomas verdeutlicht, dass das Leben weder einfach noch eindeutig ist, wird unmittelbar danach ein Gag abgeliefert, der an Eindeutigkeit nicht zu überbieten ist. Der aber in seiner Anbiederung an den Publikumsgeschmack unpassend und unangenehm wirkt (6/10).