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Erklärungen, Erklärungen!

Ohne kommt der Mensch nicht aus: er muss alles wissen, egal wie peripher es seine eigene Existenz auch streifen mag. Und alles ihm Bekannte betrifft seine eigene Existenz, denn jede Art von Erkenntnis, die er gewinnt, fügt sich in den Mikrokosmos ein, der sich zu seiner Realität zusammensetzt. Kaum auszudenken, wenn auf der Welt mal was geschehen würde, was nicht zu erklären ist. Aber selbst dann offenbart der Mensch eine faszinierende Eigenschaft: er entwickelt Theorien. Er analysiert und entwickelt Theorien. Wenn genug Zeit ist, werden die dann auch noch empirisch geprüft. Und taucht dann doch mal ein schwarzer Schwan auf, obwohl Schwäne per definitionem weiß sind, so gibt es zwei Möglichkeiten: entweder die Definition wird geändert oder es handelt sich schlicht und ergreifend nicht um einen Schwan.

Komisch - bei Shyamalans “The Happening” wollte kein Mensch seiner Natur gehorchen und in die Tiefe gehen. Kann man einerseits verstehen, denn nach der öffentlichen Meinung gibt es ja eine einzige Abwärtsspirale und selbst der größte Anhänger des Inders muss auch wirklich zugeben, dass sein sechster relevanter Spielfilm rein technisch der Schwächste ist. Kein Vergleich mehr mit der Wohnkomplex-Atmosphäre von “Lady in the Water” oder dem malerischen Farbenspiel, das in “The Village” entfacht wird. Einen Trailer braucht’s längst nicht mehr, damit das Publikum mit falschen Erwartungen ins Kino geht. Diesmal reicht die Inhaltsangabe, die extrem an “War of the Worlds” und “Day of the Triffids” erinnert und von sich aus ein Wettereffektspektakel suggeriert. Dazu noch Menschen, die nicht mehr Herr ihrer Sinne sind und im Kollektiv Selbstmord begehen. “Lemmings - the Movie” oder “Flashmob - der Film”?

Derartiges wird zwar geboten, aber wer mit einer Roland-Emmerich-Gedächtnis-Erwartung an jede Menge Weltuntergang an die Sache herangeht, bekommt von Shyamalan im Gegenzug bloß ein paar dunkle Wölkchen und etwas Wind, der über eine Wiese rauscht (mit Langhalmgras, damit es auch schön wuschelt).

Alles schaut danach aus, als wolle der aufgrund seiner jüngsten Misserfolge schwer beleidigte und sich unverstanden fühlende Regisseur mal was Neues versuchen, etwas, das dem Mainstream gefallen könnte. Menschen, die sich in Scharen selbst um ihr Leben bringen, das sind schließlich Bilder, die für die Leinwand gemacht sind. Und es schaut auch so aus, als würde jenes Vorhaben scheitern. Denn Bilder, die wie für die Leinwand gemacht erscheinen, sind das nicht. Aber was genau tut er da eigentlich, der kauzige Eigenbrötler?

Er macht aus der intelligenten Spezies Mensch einen riesigen Hühnerhaufen.

Wenn man längere Zeit an einem belebten Ort verharrt und die Menschen beobachtet, fällt einem grundsätzlich immer wieder das Gleiche auf: die Koordination läuft gleichmäßig und vorhersehbar ab wie bei einem Ameisenhaufen. Der Individualismus, der heuer stets gepredigt wird, ist so betrachtet ein Trugschluss. Sinken die Benzinpreise, kann sich die Tankstelle nicht vor Kundschaft retten. Wird es heiß, will jeder ein Eis. Adam Smith (später dann Rudi Keller bezogen auf seine Sprachwandeltheorie) gebrauchte den Begriff “Invisible Hand”, um ein Phänomen zu beschreiben, bei dem jede Person dazu beiträgt, einen höheren Zweck zu erfüllen, ohne dies selbst beabsichtigt zu haben. Läuft jemand über ein Maisfeld, so hinterlässt er eine Spur, der andere folgen - und ohne es zu wollen, haben sich die Menschen einen “Trampelpfad” erschaffen.

“The Happening” konzentriert sich mit all seiner Macht auf die Spezies Mensch. Für die Naturphänomene interessiert sich Shyamalan überhaupt nicht (was ihn eben von einem Roland Emmerich unterscheidet). Vermutlich, weil sich Alfred Hitchcock einst auch gar nicht um die “Vögel” scherte. Nur die menschliche Rasse befindet sich unter dem Mikroskop. Deren Intelligenz wird halt mal von der anderen Seite aus betrachtet. Der “Invisible Hand”-Effekt gilt bei Rudi Keller als größter Beweis menschlicher Intelligenz, weil der konventionell entstandene Trampelpfad immer ökonomischer sei als jeder Entwurf, den sich ein Architekt jemals aus seinem individuellen Hirn saugen könnte.[1]
Shyamalan hingegen zeigt, wo die menschliche Koordinationsfähigkeit im Angesicht eines unerklärlichen Phänomens auf ihre Grenzen stößt. Das Trampelpfad-Beispiel greift er bildlich sogar auf, als sich drei Autos an einer Kreuzung mit fünf Straßen treffen, alle von Toten aus ihrer Richtung erzählen und einer daraufhin sagt: “Zwei Straßen bleiben noch übrig”. Ganz so, als gäbe es nur fünf Wege und nicht etwa einen kompletten 360-Grad-Radius.

Nicht einmal die Hauptfigur schafft es aus dem Zirkel der Dummheit: auch Mark Wahlberg (leider vollkommen fehlbesetzt) darf mit einer Monströsität von Fragezeichen über dem Kopf durch den Film waten und hat keine Ahnung, was eigentlich um ihn herum geschieht. Zu Beginn fällt der Schlüsselsatz, dass jede wissenschaftliche Theorie immer nur eine Theorie ist, es endgültiges Wissen also nicht geben kann. Und so sei es, die “Experten” labern im Fernsehen wie zu besten “Night of the Living Dead”-Zeiten. Sie erklären. Sie erklären.

Klar, böser Shyamalan: ist doch nicht schwer zu erraten, worauf das hinausläuft. “The Happening” ist ein Angriff auf die Wissenschaft, ein Zugeständnis für den Glauben an das Unerklärliche (und ganz nebenbei noch Umweltkritik - im Kino läuft vorher sogar ein Greenpeace-Trailer), und damit ist der Kreis zu “Signs” & Co. wieder geschlossen.
Aber wenn man sich davon nicht gerade ins Bockshorn jagen lässt, kann es interessant sein zu beobachten, wie M. Night in seiner typisch naiven Art und Weise alles von hinten aufrollt.

Beim Stichwort “erzählerisch” kommen wir dann zu dem Dilemma, das dem Film innewohnt. Da alle handelnden Figuren der Grundidee zufolge ziellos umherirren müssen, fehlt das erzählerische Moment, in dem Shyamalan sonst so heimisch ist und das - wie nun zu sehen ist - für ihn lebensnotwendig ist. Inszenatorisch kriegt der Meister der Bildsprache diesmal kaum einen Fuß auf den Boden. Immerhin, die Bauarbeiterszene ist in etwa so effektiv, wie der Vorwurf unsinnig ist, dass hier für eine nutzlose Szene grundlos an 9/11 erinnert werde [2] - meines Erachtens also sehr effektiv (und ein sehr unsinniger Vorwurf). Dann ist da noch die Szene im Autostau mit der “Kettenreaktion” der Menschen auf eine geladene Pistole, gefilmt aus der Froschperspektive. Ansonsten bleibt das “Auge des Shyamalan” diesmal erstaunlich spröde und starr, was sich insbesondere zur Mitte hin bemerkbar macht, als die Spannung ein gewaltiges Loch zu überwinden hat.

In gewisser Weise ist “The Happening” also der Gegenentwurf zu “Lady in the Water”. Shyamalan kämpft mit einer Abstimmung zwischen Form und Inhalt, weil ihm schlicht und ergreifend der narrative Boden fehlt. So gesehen ist das Skript des Regisseurs für seinen eigenen Film gar nicht geeignet. Er hätte es vielleicht für einen anderen Regisseur schreiben sollen.
Und doch: zu entdecken gibt es nach wie vor einiges, wenn man bereit ist, dem hier präsentierten menschlichen Kommunikationssystem auf den Grund zu gehen.

[1] Keller, Rudi: Sprachwandel. 3. Aufl. A. Francke: Tübingen, S. 100
[2] http://www.spiegel.de/kultur/kino/0,1518,558998,00.html

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