Die Story über drei junge Männer, die gemeinsam auf die Jagd gehen, und plötzlich selbst zum Ziel eines Scharfschützen werden, bietet sich für einen reisserischen Film geradezu an. Bis zum abschliessenden Show-Down lassen sich Verfolgungsjagden, bedrohliche Situationen und die Mär vom verrückten Hinterwäldler, der auf alles schiesst, was nach Stadtmensch riecht, inszenieren.
Doch für ein solches Unterfangen benötigt man erhebliche Geldmittel, über die Ti West, verantwortlich für Buch und Regie, in seiner Low-Budget-Produktion nicht verfügte. Stattdessen nutzte er seine unabhängige Situation und konzentrierte er sich auf die Realität. Die benötigt für sämtliche Abläufe vor allem eins - Zeit. Schon der erste Blick auf New York verdeutlicht das, den die Kamera fast eine halbe Minute unbeweglich einfängt, bevor der Filmtitel eingeblendet wird.
Ray holt seine Freunde Sean und Reggie dort ab, um mit ihnen auf die Jagd zu gehen. Anstatt mit Dialogen deren Beziehung und die Personen zu erklären, beobachtet Ti West sie mit der Handkamera und lässt dadurch eine viel genauere Charakterisierung entstehen. Das erfordert vom Betrachter, der gewohnt ist, die Häppchen mundgerecht serviert zu bekommen, eine viel höhere Aufmerksamkeit, weil er sich mit Details in den Verhaltensmustern auseinandersetzen muss.
Gut ist das auch daran zu erkenne, dass die deutsche Synchronisation den kargen Wortwechseln (und damit dem normalen Filmzuschauer) nicht getraut hat, indem sie die Protagonisten auch dann flappsige Bemerkungen machen lässt, wenn im Original nicht gesprochen wird. Dabei entsteht gerade durch die Sprachlosigkeit eine erhebliche Wirkung, denn es wird offensichtlich, dass sich hier alte Freunde nach langer Zeit wieder treffen, die sich einerseits von früher sehr gut kennen, andererseits auch nicht viel zu sagen haben.
Auch weil sie sich völlig unterschiedlich entwickelt haben. Schon die erste Szene verdeutlicht das, als Ray auf sein Klingeln nicht geöffnet wird und er versucht, die Freunde mit dem Handy zu erreichen. Bis diese plötzlich etwas aus dem Fenster auf ihn werfen, sich dabei kaputtlachen, während ihr Opfer wenig erfreut reagiert. Die beiden schnoddrigen Stadtjungs treffen auf den braven alten Schulfreund, der aber immerhin mit schicker Karre und Jagdgewehren vor der Tür steht und den Ausflug überhaupt erst ermöglicht. Ray erklärt, dass das Auto Kathrin gehört, und als Sean ihn fragt, ob er sie inzwischen geheiratet hätte, antwortet dieser nur mit einem kurzen "Ja".
Auch hier verfälscht die deutsche Synchronisation den Sinn, indem sie so tut, als stände die Hochzeit erst kurz bevor. Man könnte das als Spitzfindigkeit abtun, aber "Trigger Man" arbeitet mit so sparsamen Mitteln, dass es auf diese Details ankommt. Eine Hochzeit, von der die Freunde nichts wissen, macht erst deutlich, wie wenig Kontakt sie in der Vergangenheit hatten. Diese fehlende Kommunikation setzt sich im weiteren Verlauf des Films fort, denn man merkt, dass zwischen den drei Protagonisten (noch) keine Einheit besteht.
"Trigger Man" lässt sich entgegen der üblichen Sehgewohnheiten sehr viel Zeit, indem er alltägliche Dinge mit der Handkamera einfängt. Reggie holt sich noch Zigaretten, das Auto fährt ein paar Stunden in die Wälder von Delaware, die Jagdausrüstung wird ausgepackt und Reggie hat noch ein problematisches Telefonat mit seiner Freundin, ohne das man irgendwelche Details darüber erfährt. Auch der Weg durch den Wald wird ausführlich gezeigt, genauso wie das gelangweilte (sprachlose) Rumhängen der beiden Stadtjungs, während der erfahrenere Jäger die Umgebung erkundet.
Ti Wests Timing bleibt dabei immer stimmig, indem er die Abläufe auch für den Betrachter erfahrbar werden lässt, ohne dafür Erklärungen abliefern zu müssen. Die Spannung erzeugt dabei besonders der überzeugende Score, der mit Verfremdungen und musikalisch erzeugten Geräuschen arbeitet, die sparsam eingesetzt werden. Auf Melodien oder dramatische Zuspitzungen verzichtet die Musik völlig, genauso wie sie selten laut wird.
Auch die allgemeine Szenerie verzichtet auf offensichtliche Dramatik, was besonders deutlich wird, als die drei Freunde an einen Fluss kommen, an dem eine grosse verlassene Fabrikanlage liegt. Zwar ist hier wenig los, aber angesichts des sonnigen Tages und der sauber angelegten Grünflächen, die eine nahegelegene Stadt vermuten lassen, vermittelt die Gegend eher einen gutbürgerlichen Eindruck. Ein Eindruck, der sich in einer späteren Szene bestätigt. Selbst die Jungs wirken trotz aller (in den USA üblichen) Waffenbegeisterung ganz normal und stellen sich sogar die Frage, ob man in so einer Gegend mit Waffen hantieren darf. Entsprechend friedlich beschliessen sie, gemeinsam ein Bier zu trinken, und man spürt, dass sie sich wieder näher kommen - bis plötzlich ein Schuss fällt.
"Trigger Man" benötigt beinahe die Hälfte seiner ca. 75 minütigen Spielzeit bis zu diesem Moment, aber das ist nur folgerichtig. Denn die Konsequenz mit der hier die Morde geschildert werden, folgt dem gleichen Gedanken - sie geschehen in Sekunden. Kein langes Vorbereiten, keine Entstehungsgeschichte oder ein langer Kampf werden hier demonstriert, sondern nur der Tod. Die realen Zeitabläufe, die der Film einhält, demonstrieren die Sinnlosigkeit des Tötens und damit des Waffengebrauchs, dessen ausführende Person sich an winzigen Momenten zu delektieren vermag.
Das wird noch dadurch betont, dass die Schüsse so leise und unspektakulär geschildert werden, dass die verheerende Wirkung, die "Trigger-Man" in drastischen Bildern zeigt, einen deutlichen Kontrast dazu ergeben. Die Handkamera liefert dazu unruhige Bilder, die zum grössten Teil die subjektive Situation der Handelnden beschreibt, und nur selten in die Totale geht. Dadurch entsteht eine klaustrophobe Wirkung, die durch die völlige Uneinschätzbarkeit der Bedrohung noch forciert wird.
Für eine solche Gefahr benötigt der Kinozuschauer eine ordentliche Erklärung, die zumindest im Wahnsinn eines schiesswütigen Hillbillys gipfeln müsste. Doch Ti West führt seinen Film nur konsequent weiter, ohne für die Abläufe Erklärungen abzugeben. Der Hinweis zu Beginn, dass die Story auf eine wahre Begebenheit fusst, wird dadurch erst nachvollziehbar. Jede Erläuterung hätte nur zur Folge gehabt, die hier geschilderten Begebenheiten einordnen zu können, aber "Trigger Man" erzeugt nicht nur den Eindruck von Sinnlosigkeit, sondern auch von Zufall und Moralverfall, der viel näher an einer realistischen Erklärung ist, als es jeder erfundene Plot sein könnte
Die Verbindung aus einem mit einfachsten Mitteln gedrehten Film, der sich überzeugend auf Atmosphäre und erfahrbare Zeitabläufe konzentriert, und einem gewalttätigen Plot, entspricht nicht den heutigen Sehgewohnheit und erinnert in seinem Tempo an einen Kunstfilm. Die wenigen Actionmomente dauern nur Sekunden, während die sonstigen Abläufe oft in minutenlangen ruhigen Einstellungen gezeigt werden. Das erfordert vom Betrachter Geduld und Einfühlungsvermögen und den Verzicht auf die Erfüllung üblicher Erwartungshaltungen.
Auf Grund der Werbung für die DVD wird aber genau diese erzeugt, so dass davon auszugehen ist, dass viele enttäuschte Betrachter mit Unverständnis auf "Trigger-Man" reagieren werden. Und damit die Gelegenheit versäumen, zu einem Film Zugang zu finden, der jenseits des aktuellen Blockbuster Kinos eine dramatische Geschichte zu erzählen vermag (8/10).