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NAKED AS NATURE INTENDED
oder: Was man sich unter einem Klassiker des britischen Nudistenfilms vorstellen darf.

Der Fotograf George Harrison Marks machte sich 1961 auf Betreiben seiner Freunde Michael Klinger und Tony Tenser, den Besitzern des Compton Cinema Club in Soho, daran, seinen ersten Feature Film zu drehen und gleichzeitig eine seinerzeit unglaubliche Vielzahl an nackten Brüsten auf die Leinwand zu bannen – zu Beginn der 1960er Jahre in Großbritannien keine leichte Aufgabe! Er drehte bereits eine Vielzahl kleiner 8mm-Filmchen für den Heimkinomarkt, sogenannte "glamour home movies". Sie zeigten üblicherweise seine Fotomodelle beim um- und ausziehen, hauptsächlich mit nacktem Oberkörper. „Glamour“ ist hier entsprechend euphemistisch zu verstehen und umschreibt die käufliche Nacktheit junger Frauen als – in diesem Fall – bewegtes Filmmaterial. Harrison Marks‘ Lieblingsmodell war dabei seine damalige Lebensgefährtin Pamela Green. Green kam zum Modeln durch ihr Kunststudium. Erst Aktmodell in den Zeichenkursen an ihrer Kunstschule, kam sie schnell zur deutlich lukrativeren Aktfotografie, die sowohl in Einzelsets als auch in Harrison Marks‘ Magazinen vertrieben wurde. Hierdurch machte sie Michael Powell auf sich aufmerksam und bekam eine Nebenrolle als Erotikmodel in AUGEN DER ANGST (PEEPING TOM, Großbritannien 1960, Regie: Michael Powell), den Harrison Marks als fotografischer Berater betreute. Was Green als Model Milly gegenüber dem Kameramann und Fotografen Mark Lewis (Karlheinz Böhm) in PEEPING TOM nur provozierend und aufreizend herausfordernd andeutet, darf der findige Rezipient im wenig später produzierten und veröffentlichten NAKED AS NATURE INTENDED (Arbeitstitel „Cornish Holiday“) endlich in voller Länge und aller Ausführlichkeit betrachten und genießen. Und dass sich das Warten über die „Handlung“ hinweg lohnen wird, zeigt bereits die sehr lange Eröffnungssequenz: Die nackte Pamela Green, lediglich punktuell von einem kleinen Handtuch bedeckt, geht am Bedruthan Beach der Kamera entgegen. Erst kaum erkennbar, ein kleiner Punkt in der Weite des durch schroffen Fels unterbrochenen Sandstrandes, kommt sie langsam näher, durchschreitet elegant einen kleinen Priel und nähert sich der Kamera so lange, bis der ursprünglich als Supertotale angelegte Bildausschnitt auf eine Großaufnahme mit ihrem nackten Busen reduziert wurde.

Aber womit muss man rechnen, bis man sich an der postulierten natürlichen Nacktheit ergötzen kann? Pamela Green bezeugt, dass der Film gar kein Skript hatte – und ebenso wirkt er auch. Sofern man die „Handlung“ überhaupt als solche bezeichnen kann, passt sie auf eine Serviette und lässt noch Platz für die ersten Kapitel eines Romans. Aber darum geht es ja in diesem Film auch nicht: Es ist ein herrlicher Freitag in London, das Wetter verheißt ein tolles Sommerwochenende. Gleich nach dem Feierabend fahren die brave Sekretärin Petrina (Petrina Forsyth), die Schuhverkäuferin Jackie (Jackie Salt)und die Tänzerin und Frau von Welt Pamela (Pamela Green) an den Strand nach Cornwall. Gleichzeitig machen sich auch die beiden Freundinnen Bridget (Bridget Leonard) und Angela (Angela Jones) auf den Weg. Sie sind Mitglieder einer Nudisten-Community in Cornwall, die dort auch einen separaten Strandabschnitt besitzt. Nach der erlebnisreichen Anreise treffen sich die Wege der Mädchen an eben diesem Strand, wo Bridget und Angela die verantwortungsvolle Aufgabe übernehmen, die drei neugierigen und aufgeschlossenen Freundinnen in die Community einzuführen…

Der Film kleidet sich dabei, um die reine Sensation der Nacktheit für die Zensur ein wenig zu verschleiern, in das Gewand einer Dokumentation über Nudisten-Communities. Entsprechend charakteristisch ist die Off-Stimme, die den Film erklärt und gliedert. „How did these three different types become confirmed nudists? – We can follow them and see!“ Diese Leitfrage ist ebenso belanglos wie die Antwort, die man schließlich bekommt. Die Stimme aus dem Off entpuppt sich dabei als einzig relevante Stimme des Films, die im Grunde die Funktion erläuternder Zwischentafeln eines Stummfilms übernimmt, während der diegetische Ton aus gedämpften Gesprächsfetzen und Hintergrundtönen besteht. So können sich die Mädchen ganz auf ihr Schauspiel konzentrieren, was letztlich aber – es liegt auf der Hand – kaum erwähnenswert ist. Um nun dem Gewand einer Dokumentation gerecht zu werden, nutzt der Film über die Hälfte der kurzen Laufzeit zur ausgedehnten Reiseroutenbeschreibung inklusive aller nennenswerten Sehenswürdigkeiten auf dem Weg und einiger interessanter Fakten zu den markanten Wegpunkten. Und in Südwestengland haben die es in sich: Stonehenge, das malerische Fischerdorf Clovelly mit der beeindruckenden Hafenanlage, Tintagel und die vermeintliche Ruine der Burg des König Arthus sowie das Minack Open-Air-Theater in der Nähe von Porthcurno, wo natürlich auch die malerischen Küstenabschnitte bis hin nach Land’s End in Szene gesetzt werden. Der Off-Kommentar unterlässt es dabei nicht, den Zuschauer mit allerhand wissenswerten Informationen zu versorgen, sodass man mitunter vergessen könnte, warum man sich diesen Film eigentlich ansieht. Glücklicherweise sind gelegentlich kurze Einstellungen der zwei Mädchengruppen zwischengeschnitten, die immer wieder auch andeuten (!), dass es noch erotisch werden könnte, so man einfach sitzen bleibt. Gegliedert ist der Film entsprechend in die doppelte Eröffnung mit der langen Eingangssequenz und der Vorstellung der unterschiedlichen Charaktere, die sehr lange Sightseeing-Tour durch den Südwesten Englands und das große Finale, dass nur mit etwas Mühe ein Drittel des knapp 60minütigen Films bekleidet… öhm, entkleidet!

Zu klären bleibt nun die Frage, die den Schwerpunkt des Films und der Handlung bildet: „How did these three different types become confirmed nudists?“ Offenbar neigt Pamela dazu, nie den Weg zu gehen, den ihre Freundinnen einschlagen. so findet sie sich auf dem Weg über den Strand zum Meer plötzlich am Nudistenprivatstrand wieder und lernt Bridget und Angela kennen, welche die Mädchen nach ausgedehnten Spielereien am Strand und diversen Planschereien im Prielbrackwasser zur Community begleiten. Unterdessen erklärt man sich, dass ein Körper selbstverständlich nur ohne Kleidung natürlich ist – der makellosen Bräune wäre dies selbstredend auch zuträglich. So liegen die Mädchen am Strand herum, klettern auf Felsen, spielen mit einem Wasserball, schwimmen im Meer und – dies mag verwundern – in jeder sich bietenden Pfütze mit abgestandenem Wasser.

Neben der langen Eröffnungssequenz sollte die Einführung eine weitere, diesmal jedoch nur Semi- Nacktszene enthalten, in der Pamela aus der Dusche tritt um sich mit einem Handtuch bekleidet mit Petrina, ihrer Mitbewohnerin, zu unterhalten. Auf Betreiben von John Trevelyan wurde diese Szene jedoch aus dem Film herausgeschnitten, denn die beiden Mädchen könnten im Suburb-Kontext Londons als lesbisch interpretiert werden. An den weitläufigen Stränden ist dies allerdings kein Problem. Ebenfalls dürfte heute kurios wirken, dass diese Szene im amerikanischen Vertrieb enthalten blieb, dafür aber das titelbestimmende Wörtchen „Naked“ gestrichen wurde.

Neben der Sightseeing-Tour und den Einblicken in das „Spielplatz Nudist Camp“ in St. Albans sowie den Strandabschnitt des Terwyn Sun Clubs und der Attraktion von Nacktheit per se, bietet der Film ungewollt amüsante Einblicke in die Gepflogenheiten des britischen Films und dessen Kontrollinstanzen jener Zeit und erklärt somit auch, weshalb PEEPING TOM im Jahr zuvor das Karriereende von Michael Powell markierte. Auch NAKED AS NATURE INTENDED thematisiert das Sehen und Gesehenwerden und handelt vom Voyeurismus, nur dass er sich aus der Perspektive von einem Voyeur gezielt an sein ebenso voyeuristisches Publikum richtet. Wo PEEPING TOM geschickt durch Perspektiven den Rezipienten die Rolle des Voyeurs aufzwang, geht AS NATURE INTENDED einfach davon aus, dass sein Publikum aus Voyeuren besteht. Dem gegenüber versucht er sich aber auch als Dokumentarfilm über die Natürlichkeit von Nacktheit und die Orte, an denen man sich dieser ausführlich widmen kann. Dies offenbart auch den schmalen Grat zwischen dem, was gezeigt werden darf, und dem Kontext, in dem gezeigt werden muss. Erst das dokumentarische Gewand macht die britischen Kontrollinstanzen durchlässig. Auffällig ist darum, dass es lediglich nackte Busen und Hintern zu sehen gibt, während die Schauspielerinnen unter häufig größter Mühe dazu angehalten sind, ihre Scham zu verbergen. Das führt zu sehr skurril anmutenden Positionen und Bewegungen, die dem ganzen eine sehr schräge Aura verpassen, da nur wenige Bewegungen der Körper in diesem als körperlich natürlich postulierten Metier tatsächlich natürlich wirken. Entweder hält man Handtücher, Handtaschen und Körbchen vor den Schambereich, oder man verdreht sich in bizarrer Art und Weise, damit das Bein, ein Knie etc. als Sichtschutz dienen können. All dies macht AS NATURE INTENDED zu einem Dokument, dass über seine Funktion als ebensolches hinaus aus heutiger Perspektive kaum noch andere Qualitäten aufweist.

Die Damen sind übrigens allesamt auch die realen Modele von Harrison Marks. Sie bilden, das liegt auf der Hand, den Schwerpunkt von allem, was diesen Film ausmacht. Amüsant ist darum, dass die gelegentlich auftauchenden männlichen Parts überwiegend vom gleichen Kerl in immer neuen Kostümen gespielt werden. Stuart Samuels ist tatsächlich mal als sich lüstern freuende Aufsicht in Stonehenge, mal als raubeiniger Seemann in Clovelly, mal als überambitionierter Schauspieler während der Probe, mal als Kellner, mal als Kapitän eines Segelbootes und ähnliches zu sehen und im Abspann – der größte Lacher – auch in all seinen Rollen mit dazugehörigem Bild gelistet.

NAKED AS NATURE INTENDED ist insgesamt ein sehr schräges und skurriles Zeitdokument zum britischen Nudistenfilm und ein seinerzeit unglaublicher Erfolg gewesen (wirklich – unglaublich!). Im Cameo-Moulin Kino in London lief der Film 18 Monate! Und dies, obwohl er wie eine Dokumentation über ein paar Sehenswürdigkeiten mit eingegliedertem Werbefilm für einen Nudistenclub wirkt. Zuträglich dürften das Poster sowie die verheißungsvollen Lobby Cards gewesen sein. Beide provozieren mit dem Slogan "NOT FOR ADULTS WITH HIGH BLOOD PRESSURE OR LOW BOILING POINTS!" sowie einer Vielzahl von erotischen Fotografien der Mädchen. Speziell das Poster ist bemerkenswert, wird es doch nicht müde mit Kurztexten die laszive Erotik und den expliziten Adult-Content zu betonen, während die Hauptdarstellerinnen sogleich unter Angabe ihrer Körpermaße beworben werden. Pamela Green als Zugpferd erhält dabei natürlich eine exponierte Stellung.

Als Frühform des erotischen Films und als charakteristischer Nudistenfilm mit allem verschleiernden Gewand ist NAKED AS NATURE INTENDED tatsächlich für Interessierte zu empfehlen, ist seine naiv wirkende Art doch auch heute noch sehr charmant. Für Neugierige hält er zudem Pamela Green parat und markiert im Œuvre von George Harrison Marks den Startpunkt seiner Karriere als Erotikfilmemacher. Filmhistorisch ist dieses Kuriosum als durchaus von Relevanz. Unter handwerklichen Gesichtspunkten ist der Film bis auf einige wenige Einstellungen (bspw. die neugierig machende Eröffnung und die rechtzeitigen Abblenden vor eindeutig expliziten Szenen) und die Kreativität beim Verdecken der Scham kaum von Bedeutung. Für das Schauspiel gilt dies ebenso. So bleibt der Film im Stil eines dokumentarischen Reiseberichts voller E(r/x)otik (in diesem Punkt gibt es ja durchaus schon jahrzehntealte Traditionslinien), dessen Bilder sich in Orientierung an Stummfilmen durchweg selbst erklären und auch der Off-Stimme nicht bedürfen, aus heutiger Perspektive lediglich als Dokument von Interesse. Allerdings als eines, dass man sich selbst erschließen muss, da der ursprüngliche dokumentarische Mantel einer ganz eigenen, heute nicht mehr notwendigen Intention entsprang, die in der Deutung berücksichtigt werden muss. Ohne die Bereitschaft hierin auch einen Gesellschafts- und Zeitspiegel zu sehen dürfte das 60minütige Nudistenabenteuer aber vor allem eines sein: langweilig.

Quellen und Lektüreempfehlungen für Interessierte:
http://www.pamela-green.com/pamela/ und weitere Beiträge in diesem Blog
sowie
http://www.harrison-marks.com/movies2.htm

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