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Benjamin Christensen schuf von 1919-1922 mit Hexen (Häxan) einen Film, der sich jedweder Kategorisierung entzieht. Vordergründig will er eine Dokumentation über die Hexenverfolgung im 15. Jahrhundert sein und in 7 Kapiteln zeigen, wie sich mit dem Stand der damiligen (1920er) Psychologie, Verhalten und Symptome diverser psychischer Krankheitsbilder (Hysterie) mit den früher als Hexentum angeprangerten Eigenschaften decken. Doch ziemlich schnell wird einem beim Betrachten klar, dass die beispielhafte Inszenierung sowohl einen düster-poetischen, als auch einen slaptsickhaft-komischen Weg beschreitet. Für die Verhältnisse der 20er Jahre, kann er mit ziemlich drastischen und expliziten Bildern von Gewalt und Nacktheit aufwarten, die jedoch nie selbstzweckhaft erscheinen. Viel mehr ist es ein Ausdruck der dunklen, von der Kirche verleugnet und unterdrückten Seite, der menschlichen Gefühlswelt, die hier unter dem Denkmantel der satanischen Exzesse, hier umso heftiger ausgelebt wird.

Für Christensen sind die Rollen klar verteilt. Gott ist tot. Satan gibt es nicht. Wissenschaft und Vernunft erklären die Welt. Die Mönche und Inquisitionsrichter sind tölpelhaft, uninteligent, engstirnig, eigennützig und selbstgerecht. Die "Hexen" sind die armen, bemitleidenswerten Opfer. Er vermittelt anschaulich Informationen, die dem Wissensstand ihrer Zeit entsprechen und persifliert mit seiner gezielten Charakterdarstellung die eigentlich neutrale Haltung, die eine Doku einhalten sollte. Anhand beispielhafter, erfundener Geschichten, durch die er die Abläufe einer Hexenjagd erklärt, schafft er dennoch Figuren, mit denen man mitfühlen kann.

Am beeindruckendsten ist der Hexensabbath im vierten Kapitel. Mit viel Liebe zum Detail ist dies die mit Abstands einprägsamste Stelle des gesamten Films. Dem orgiastischen Wahnsinn die Krone aufsetzend tritt Christensen selbst in der Rolle des Satans auf, dem die Hexen den Hintern küssen müssen. In dieser fast schon exzessiv langen (grob 4 Minuten) Szene tritt am deutlichsten hervor, dass dieser Film nur oberflächlich eine Dokumentation sein weil. Die Erklärungen der Zwischentitel sind teilweise beißend sarkastisch, unterhalten sich sowohl mit den Figuren, als auch dem Zuschauer. Passend dazu die teilweise übermäßig heitere, wie auch düster und bedrohliche Musik, deren Ton, wie die Stimmung im Allgemeinen wie eine Achterbahnfahrt verläuft.

Wenn man sich fragt, welchem Genre dieser Film nun angehört, gibt es keine klare Antwort. Ist es eine Dokumentation? Ein Horrorfilm? Eine schwarze Komödie? Irgendwie von allem ein Bisschen, doch in erster Linie ist es Chrinstensens Vision, was er gleich zu Anfang des Films klarstellt, indem er den Zuschauer direkt ansieht, bevor er sich bei seinen Mitarbeitern bedankt und dann selbst die Rolle des Erzählers einnimmt. Er wollte es niemandem mit diesem Film recht machen außer sich selbst und setzte auf die Sensationswerte. Eine Rechnung, die leider nicht aufging, weswegen es ihm leider vergönnt war, zwei weitere Filme dieser Art über andere Themen der Prophetie und Exorzismen zu drehen. Häxan wurde als Schund verissen, zensiert, beschlagnahmt und verboten.

Erst in den 60er Jahren erfuhr der Film in den Mitternachtsvorführungen amerikanischer Kinos eine Renaissance. Diesmal neu herausgebracht um fast eine halbe Stunde gekürzt (105 auf 76 Minuten), da man die Zwischentitel weggelassen und durch ein Voice-Over von William S. Boroughs ersetzt hat und unter dem Zusatztitel Witchcraft through the ages. Obwohl seine Stimme gut für einen Horrorfilm passt, nimmt dies den bissigeren Kommentaren, die ironische Nüchternheit. Außerdem - und das ist der größte Grund, aus dem die Originalfassung von Christensen dieser vorzuziehen ist - hat man die originale Musik durch nichtssagenden Jazz ersetzt und damit der Stimmung - sowohl im komischen, als auch im düsteren - einen Tiefschlag verpasst.

Christensen hat mit diesem Film eine Einzigartigkeit geschaffen, die auch nach fast 95 Jahren immer noch faszinieren, unterhalten und erstaunen kann. Für mich ganz klar ein 10 von 10. Die Version mit Jazz und Boroughs hingegen lediglich 6 von 10.

Leider ist der Film bisher in keiner offiziellen deutschen Untertitelung erschienen und hat (meines Wissens nach) leider weltweit bisher keine Blu-Ray Auswertung erfahren, was ich schade finde. Da er sich wegen seinem hohen Alter in Public Domain befindet, kann er leicht im Internet gefunden werden (Bildqualität mal mehr mal weniger gut) und darf dort sogar legal heruntergeladen werden. Auf einer bekannten Videoplattform gibt es auch eine Fan-Made Version mit deutschen Untertiteln. Alternativ wäre der Import aus dem Ausland. Ich erwähne das hier nur, da Häxan ein meiner Meinung nach viel zu lange vernachlässigter Kultfilm ist.

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